Der Wolf
Paul Leyhausen, die Arbeit am Max-Planck-Institut in Seewiesen fortzusetzen. Wegen der vielen Enten und Gänse in
Seewiesen konnte dort allerdings kein Gehege ausgerechnet für Wölfe gebaut werden, aber inzwischen lag auch
ein Angebot der bayerischen Staatsforstverwaltung vor, im
neugegründeten Nationalpark Bayerischer Wald ein großes Forschungsgehege zu bauen.
Das gab den Ausschlag. Dieses Gehege bedeutete eine
einmalige Gelegenheit, Wölfe wenn nicht in freier Wildbahn, so doch in sehr viel größerer Freiheit als in den kleinen Gehegen Ricklings zu beobachten. So möchte ich in
diesem Kapitel schildern, wie sich, ausgehend von den vier
Kieler Wölfen, ein neues Rudel bildete, wie sich die Wölfe
ins Rudel integrierten, wie andere aus dem Rudel ausgestoßen wurden oder es freiwillig verließen und wie die beiden
Rangordnungen bis zur Spitze hin sich langsam veränderten. Aus diesen Beobachtungen wird sich ein allgemeines
Modell für die soziale Rangordnung der Wölfe entwickeln.
Doch zuvor passierte einiges Interessantes am Rande.
Das Wolfsgehege im Bayerischen Wald
Im Februar 1971 mieteten wir uns einen Lastwagen und
beluden ihn mit unseren wenigen Möbeln sowie vier Kisten,
in denen sich jeweils ein Wolf befand: Alexander, Näschen,
Wölfchen und Mädchen. Unser Tierwärter in Kiel hatte
die Kisten gut präpariert – vor allem die von Näschen, der
gleich wütend versuchte, sie von innen zu zerlegen. Aber sie
hielt bis Waldhäuser, das unser neues Zuhause im Nationalpark Bayerischer Wald sein sollte.
Waldhäuser ist eine hochgelegene Rodungsinsel an den
Hängen des Grenzgebirges zwischen Bayern und Böhmen.
Einst führte hier der berühmte »Goldene Steig«, eine alte
Salz- und Handelsstraße, über Passau und Grafenau ins
Böhmische hinein. Waldhäuser war dabei die letzte Station, an der Ochsen und Pferde gewechselt werden konnten, bevor der lange Aufstieg und die Durchquerung des
Böhmerwaldes begannen. Heute ist es ein Dorf, das hauptsächlich von der Waldwirtschaft und vom Fremdenverkehr
lebt. Hier zogen wir in das leerstehende Haus der Grenzpolizei, um das die Nationalparkverwaltung schon vorher
ein provisorisches Gehege für die Wölfe gebaut hatte. Bei
unserer Ankunft schneite es; auch während der nächsten
Tage hörte es nicht auf zu schneien. Vorsichtig und dem
unbekannten Gefühl bodenloser Schneemassen mißtrauend, nahmen die Wölfe ihr neues Revier in Besitz.
In Kiel hatte sich im letzten Winter keiner der drei Rüden
für die läufige Mädchen besonders interessiert. In diesem
Winter aber versuchten Alexander und Näschen, wie zuletzt
auch Wölfchen, schon wenige Tage nach unserer Ankunft
in Waldhäuser, auf Mädchen aufzureiten ; aber Mädchen
lehnte jede Annäherung ab. Bei der Begegnung mit einem
Hund außerhalb des Geheges blieb sie jedoch sofort stehen, als dieser aufritt. Wir konnten die beiden gerade noch
rechtzeitig trennen ; ich wollte ja nicht Bastarde von Wolf
und Hund haben, sondern reine Wolfswelpen. Doch Mädchen weigerte sich weiterhin, sich mit einem ihrer Brüder
zu paaren. Auch in den folgenden Jahren waren es immer
die Weibchen, die den Inzest verhinderten ; doch darüber
später mehr. Zunächst stand ich vor der Tatsache, daß für
Frühjahr wieder keine Welpen zu erwarten waren.
Während des Sommers bauten wir ein neues, sechs Hektar
großes Gehege für die Wölfe in der sogenannten Gehegezone des Nationalparks. Hier sollten die Besucher Gelegenheit haben, all die größeren Tierarten, die in diesem Waldgebirge noch lebten oder einst heimisch gewesen waren,
wenigstens in Gefangenschaft zu beobachten, denn im Bayerischen Wald ist außer Bäumen wenig zu sehen. Doch zum
Serengeti-Image eines Nationalparks gehört es eben auch,
daß dort möglichst viele Tiere zu erleben sind. So gingen
wir mit einem etwas schlechten Gewissen ob dieses Etikettenschwindels daran, für Hirsch, Bär, Luchs, Uhu, Wisent,
Wolf, Otter und viele andere Tiere Gehege zu konzipieren.
Zumindest der Tierpark sollte etwas Einmaliges werden,
und das, glaube ich, ist dann auch im Laufe der Jahre entstanden : eine auch für die Tiere großzügige Einrichtung,
an der die wachsenden Besucherscharen ihre Freude haben.
Allerdings wird den Besuchern einiges an Bewegung abverlangt, denn die Tiere lassen sich nicht hintereinander vorführen wie in einer Manege.
Eines der schönsten Gehege entstand für die Wölfe. Um
einen großen Felsen herum rodeten wir den Wald und
setzten dann mitten auf
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