Der Wolf
nächsten Welpen. Offensichtlich hatte sie schon vor der
Geburt eine zweite Höhle angelegt, zu der sie ihre Jungen
nach der von mir verursachten Störung trug. Nachdem sie
den letzten Welpen in der neuen Höhle abgelegt hatte, lief
sie ein fünftes Mal zu der alten Höhle, verschwand darin
und kam gleich wieder heraus. Gut zählen scheinen die
Wölfe nicht zu können.
Das Anlegen von zwei nicht allzu weit voneinander entfernt liegenden Höhlen habe ich in den späteren Jahren
immer wieder beobachtet. Nicht immer bedurfte es einer
erkennbaren Störung, um die Mutter zum Umsetzen ihrer
Welpen zu bewegen. Spätestens nach vierzehn Tagen hatte
sie die Welpen in jedem Jahr zu der neuen Höhle gebracht.
Mehrmals habe ich beobachtet, wie die Mutter vorher Futter in der Nähe der neuen Höhle vergrub, und ich wußte
dann zumeist schon, daß sie ihre Welpen bald umsetzen
würde. Mit zunehmendem Alter der Welpen wurden noch
weitere Höhlen gebaut. Insgesamt haben die Wölfe in den
beiden Gehegen innerhalb der folgenden fünf Jahre neun
verschiedene Höhlen benutzt. Davon befanden sich zwei
unter großen Steinen, vier unter dem Wurzelwerk alter oder
abgesägter Fichten, eine in der sandigen Erde am Rande
eines lichten Buchenwaldes, eine unter dem hochgehobenen Wurzelteller einer umgefallenen Fichte und eine unter
einem langen Holztrog, den wir als Unterschlupf für die
Kaninchen in das Gehege hineingelegt hatten. Keine der
Höhlen befand sich im dichten Wald; sie lagen vielmehr
alle an recht lichten Stellen nahe oder direkt am Waldrand
und stets weit weg von der Besuchertribüne sowie anderen
störungsreichen Stellen im Gehege, zum Beispiel der Einfahrt, die dreimal in der Woche der Jeep mit Futter passierte. Die Höhleneingänge maßen etwa fünfzig mal fünfzig Zentimeter. Von hier aus ging ein Gang in die Erde
hinein, in abschüssigem Gelände stets von unten gegen
die Gefällrichtung. Nach etwa einem Meter setzte sich der
schmaler werdende Gang waagrecht fort, bis nach ein bis
drei Metern eine runde Kammer, die eigentliche Höhle,
den Gang abschloß.
Finsterau, die vier weitere Würfe zur Welt brachte, benutzte
in jedem Jahr weiterhin dieselbe Höhle unter dem Felsen, in
die sie so schnell ihre ersten Welpen getragen hatte. Außerdem grub sie jedes Jahr mindestens eine neue Höhle. Auch
Tatra, die im Frühjahr 1977 im großen Gehege Welpen bekam,
grub vor der Geburt ebenfalls zwei schöne Höhlen, gebar
aber ihre Jungen dann doch in der von Finsterau im ersten
Jahr angelegten Höhle unter dem großen Felsen.
Nur die trächtige Mutter gräbt eine Höhle ; am Ausbau
der einmal angelegten Höhle beteiligten sich jedoch auch
die Welpen. Im Frühjahr 1974 hatte Finsterau ihre Welpen im Alter von sechs Wochen in eine neue Höhle unter
einem alten Stubben gebracht. Nachdem die Welpen etwa
drei Wochen lang in dieser neuen Höhle verbracht hatten,
glaubte ich, einen Welpen, der an den Hinterbeinen etwas
schwach war, in der Höhle winseln zu hören. Ich wartete
zwei Tage lang. Die anderen Welpen waren inzwischen wieder in eine weitere Höhle umgesiedelt, aber immer noch
meinte ich, den einen Welpen eingeklemmt aus der Tiefe
der Höhle zu hören. Gemeinsam mit mehreren Arbeitern
gruben wir die Höhle aus. Einen eingeklemmten Welpen
fanden wir zwar nicht, auch dann nicht, als wir einen großen Bagger extra dafür ins Gehege brachten, um den letzten Teil der Höhle freizulegen. Der Kleine war schon vorher herausgekommen, und einige Tage später sahen wir
ihn mit den anderen Welpen gemeinsam spielen. Indessen waren wir über das, was wir vorfanden, sehr erstaunt:
ein Labyrinth von Gängen und Kammern auf einer Fläche von etwa fünfzig Quadratmetern. Viele dieser Gänge
waren von ihrem Durchmesser her so eng, daß hier nur
die Welpen durchkommen konnten – also auch nur Welpen diese Gänge gegraben haben konnten. Zwischen mehreren Liegehöhlen gab es Querverbindungen, auch zwischen
den drei Haupttunneln und -ausgängen. Einige der kleineren Gänge führten ebenfalls ins Freie. Es war ein richtiges »Welpenhaus«; schade, daß wir es bei unserer Suche
zerstören mußten.
Als die vier im Frühsommer 1973 geborenen Welpen drei
Wochen alt waren, kamen sie zum erstenmal aus der Höhle
hervor. Die Aufregung bei den anderen Wölfen war groß,
aber immer noch verhinderten Finsterau und Näschen, daß
der Kontakt allzu stürmisch wurde. Auch die beiden »Prügelweibchen« Rachel und Lusen erkämpften sich das Recht,
bei den Welpen zu
Weitere Kostenlose Bücher