Der Wolf
entwickelte sich zwischen Wölfchen und Schönbrunn nach der Ranzzeit keine Bindung,
anders als im Jahr zuvor zwischen Näschen und Finsterau
und in diesem Jahr zwischen Olomouc und Finsterau. Das
Führungstriumvirat bestand jetzt aus Olomouc, Finsterau
und Näschen. Der alte Alpha-Rüde Wölfchen ging zunehmend eigene Wege und wurde dabei nicht von Schönbrunn
begleitet. Offensichtlich bedarf es also eines mehrmaligen
Hängens, bis bei Wölfen eine über die Sexualität zustande
gekommene Bindung eintritt.
Rudelverkleinerung
Mit der Geburt der sieben Welpen waren dreiundzwanzig
Wölfe im Gehege. Infolge der vielen Ausschlüsse blieb die
Größe des Rudels zwar in etwa konstant, doch auch die
Ausgestoßenen mußten etwas zu fressen haben, und dreiundzwanzig Wölfe zu füttern war der Nationalparkverwaltung zuviel. Auch für meine Beobachtungen waren zu viele
Wölfe im Gehege. (506 verschiedene Einzelbeziehungen
mal 48 mögliche Verhaltensweisen = 24 288 mögliche Verhaltenskombinationen !) Zudem waren die Aggressionen
im Gehege inzwischen groß geworden : In diesem Sommer
wurde, anders als im Vorjahr, keines der im Winter ausgeschlossenen Weibchen zu den Welpen gelassen, und auch
bei den Rüden gab es ständig Streit.
Es mußten also mehrere Wölfe weg. Aber wohin ? In deutschen Zoos werden genügend Wölfe geboren. Privatpersonen gäbe es viele, die einen Wolf kaufen würden. Im Laufe
der Jahre habe ich zahlreiche derartige Anfragen erhalten, die ich aber alle negativ beantworten mußte. Entweder werden die Welpen nicht zahm und müssen dann in
allzu kleinen Zwingern ein trostloses Leben fristen, oder
dem Privatbesitzer gelingt es, die Welpen zu zähmen, was
noch viel schlimmer ist, denn dann sind die Schwierigkeiten programmiert. Den auf den Menschen sozialisierten Wolf zwingt man geradezu zur Neurose, wodurch er
unberechenbar und gefährlich wird. Anfa, die nach engem
Zusammenleben mit ihrem ersten Sozialpartner, einem
Menschen, im Zwinger leben mußte, wurde wohl deswegen so verhaltensgestört. Der Wolf ist ein Wildtier, und
man sollte ihn dort lassen, wohin er gehört: in der Freiheit. Nur in Ausnahmefällen dürfen Wölfe in Gefangenschaft gehalten werden. Leider entsprechen die Haltungsbedingungen in vielen zoologischen Gärten auch nicht den
Minimalanforderungen für Wölfe. Die Gehege, manchmal
nur Käfige, sind viel zu klein, der Abstand zu den Besuchern zu gering. Die Tiere, die häufig nur auf Betonboden
laufen können, rennen am Zaun auf und ab in ständiger
Flucht, und aus dieser entwickeln sich bald Bewegungsstereotypien, die niemandem, auch nicht den Zoobesuchern,
Freude machen können.
Wohin also mit unseren vielen Wölfen ? Ich wollte schon
einige der Ausgestoßenen und auch einige Welpen erschießen, da meldete sich ein staatlicher Tierpark in der Eifel.
Sie hätten ein sehr großes Wolfsgehege fertiggestellt und
suchten geeignete Wölfe. Mir fiel der berühmte Stein vom
Herzen, und ich schickte ihnen sieben Tiere : zwei Welpen,
eines der letztjährigen Jungtiere und vier der ausgestoßenen Wölfe, nämlich Schönbrunn, St. Oswald, Rachel und
Lusen. Dann brachte ich drei weitere Ausgestoßene, nämlich Alexander, Wölfchen und Psenner, zu Mädchen in
unser kleines Gehege. Zu ihnen kam auch Türk, ein kleiner, etwa halbjähriger Wolf, den Touristen aus der Türkei
mitgebracht hatten.
Die drei erwachsenen Rüden im kleinen Gehege merkten
erst langsam, daß die Zeit ihrer Unterdrückung vorbei war,
und eine lange Zeit turbulenter Rangwechsel trat ein. Jede
Woche war eine neue Situation zu beobachten, und ich kam
mit dem Protokollieren gar nicht mehr nach. Es ging sogar
so weit, daß sie sich gegenseitig alle drei ausschalteten und
der noch nicht einmal einjährige Türk zeitweilig die ranghöchste Position einnahm. Er wußte gar nicht richtig, wie
ihm geschah, und verstand das Ganze wohl eher als eine
Art Spiel. Es war aber kein Spiel. Immer wieder lief einer
der drei älteren Rüden verletzt umher. Wölfchen wurde
sogar ein Stück aus einem Ohr und vom Schwanz abgebissen ; schön sah er danach nicht mehr aus. Dies zeigt, daß
die Aggressivität im Rudel auch von der Zusammensetzung des Rudels abhängig ist. In einem durch eigene Welpenaufzucht sich natürlich entwickelnden Rudel kommt es
viel weniger zu Streit als zwischen Tieren einer von Menschen willkürlich zusammengewürfelten Gruppe.
Im großen Gehege ging die Frequenz und auch die Intensität aggressiver Auseinandersetzungen
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