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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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nach dem großen
Exodus im Sommer 1974 zunächst schlagartig zurück. Doch
im Herbst griff Finsterau, von ihren drei übriggebliebenen
letztjährigen Jungen unterstützt, die inzwischen zweieinhalb Jahre alte Tatra an und vertrieb sie schließlich aus
dem Rudel, ebenso wie einige Wochen später Brno. So war
während der Paarungszeit wieder nur ein geschlechtsreifes Weibchen im Rudel : Finsterau.
    In dieser Ranz geschah dann etwas besonders Interessantes. Seit dem Herbst 1974 hatte sich Finsterau wie üblich
immer häufiger gegen ihre beiden Begleiter Olomouc und
Näschen gedrängt, sich vor ihnen hingeworfen oder sie
am Fell gezogen. Zur Ranzzeit vermehrte sich dieses Aufforderungsverhalten dann sehr stark, und offensichtlich
reagierte Näschen als erster darauf. In den frühen Tagen
der Ranz kopulierte er mit Finsterau, während Olomouc,
der Alpha-Rüde, danebenstand. Sogar zwei der inzwischen
knapp zweijährigen Söhne Finsteraus kopulierten mit ihrer
Mutter. Erst langsam wurde auch Olomouc sexuell motiviert und übernahm dann acht Tage lang das Kommando.
Dann ließen bei ihm die Kräfte nach, und wieder konnten
die anderen Rüden ihr Glück versuchen. Finsterau machte
dies offensichtlich nichts aus ; sie paarte sich mit jedem, der
intensiv um sie warb. Es scheint also, als werde die Partnerwahl für das Alpha-Weibchen weitgehend unter den
Rüden ausgemacht, wobei normalerweise dem ranghöchsten Rüden eine Schlüsselrolle zukommt.
    Im Frühjahr 1975 wurden drei Welpen geboren. Bei einer
Tragdauer von 61 bis 63 Tagen ließ sich der Tag der Befruchtung eindeutig festlegen, und demnach war, wie eigentlich
auch zu erwarten, der Alpha-Rüde der Vater. Im kleinen
Gehege gab es hingegen keine Welpen. Die Rüden dort
hatten sich für Mädchen während der Ranzzeit überhaupt
nicht interessiert ; am Verhalten meines Hundes Flow war
aber klar erkenntlich, daß auch sie läufig gewesen war. Bei
Wölfen bedarf es demnach mehr als nur eines geruchlichen Signals, um bei den Rüden Sexualverhalten auszulösen, wie schon früher häufig festgestellt.
    Die weitere Geschichte des Rudels ist schnell erzählt. Im
Januar 1976, kurz vor der Ranzzeit, brachen aus dem großen
Gehege neun Wölfe aus. Interessant dabei ist : Obwohl das
Loch groß genug war, nutzten nicht alle Wölfe im Gehege
die Chance. Das zentrale Dreiergespann des Rudels, Olomouc, Näschen und Finsterau, blieb im Gehege, ebenso die
seit Jahren allein lebende Tatra. Brno indessen und alle Welpen Finsteraus – also die drei jetzt dreijährigen Rüden aus
dem ersten Wurf sowie die zwei Rüden und die drei Weibchen aus dem vorjährigen Wurf – verschwanden.
    Um im kleinen Gehege eine Falle für eventuell zurückkehrende Wölfe zu bauen, mußten wir die beiden Rudel
zusammen in das große Gehege tun. Es gab eine furchtbare Schlägerei. Da das neu eingeführte Rudel aus dem
kleinen Gehege größer war als die wenigen Nichtausbrecher, beherrschten sie bald das ganze Gehege. Dabei ließen sie interessanterweise Tatra, das unterdrückte Weibchen, ganz in Frieden. Olomouc, Näschen und Finsterau
jedoch drängten sie auf ein kleines Felsengebiet um die
Besucherkanzel zurück. Hier waren die drei relativ sicher,
doch an der Front gab es immer wieder hemmungslose
Kämpfe, aus denen schließlich zwei so verletzt hervorgingen, daß sie bald darauf starben : Mädchen und Näschen.
Mädchen hatte sich seit ihrem großen Kampf mit Finsterau
vor fünf Jahren körperlich immer noch nicht ganz erholt.
Sie war zu steif und zu langsam und bald ein wehrloses
Opfer von Finsterau. Ich nahm Mädchen wieder aus dem
Gehege. Trotzdem starb sie einige Tage später. Und Näschen ? Er war inzwischen allzu fett und träge geworden. Ich
weiß nicht, warum er so viel fraß. Niemanden, auch nicht
den ranghöchsten Olomouc, ließ er ans Futter, nach jeder
Fütterung konnte er mit seinem vollen Bauch kaum noch
laufen. Er wurde von den Neuankömmlingen immer wieder
angegriffen. Interessanterweise war auch Finsterau unter
den Angreifern. Einst so eng verpaart, beteiligte sich also
das Weibchen am Untergang des früheren Partners. Später
habe ich ähnliches bei zwei anderen Paaren gesehen. Eine
Ehe »bis daß der Tod sie scheidet« gibt es also bei Wölfen
offensichtlich nicht.
    Auch Näschen starb, nachdem ich ihn aus dem Gehege
genommen hatte, an gar nicht sonderlich böse aussehenden
Wunden. In jüngeren Jahren hätte er sie ohne Schwierigkeit überstanden, jetzt aber nicht mehr. Da er

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