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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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Tiere zueinander einhalten, messen. Eine weitere Möglichkeit, die Stärke einer
Bindung zu ermitteln, bietet die Messung der Rückkehrgeschwindigkeit nach räumlicher Trennung.
Aus der formalen Betrachtungsweise möglicher Bindungsverhältnisse lassen sich verschiedene Fragen ableiten :
    – Inwieweit ist die Bindung zwischen den Mitgliedern
unseres Wolfsrudels abhängig von Alter, Geschlecht und
Rang ?
– Welchen Einfluß hat die Umgebung (zum Beispiel offene
Landschaft im Vergleich zu geschlossenen Waldgebieten
oder bekanntes im Vergleich zu unbekanntem Gelände)
auf die Bindung ?
– Welchen Einfluß haben jahreszeitliche Veränderungen
auf die Bindung ?
– Wie wirken sich Gruppengröße und Gruppenzusammensetzung auf die Bindung aus ?
Methodisches
    Die Abstände der Rudelmitglieder zueinander wurden zu
verschiedenen Tages- und Jahreszeiten registriert, sowohl
im Gehege als auch bei Wanderungen mit zahmen frei
laufenden Wölfen außerhalb des Geheges. Zudem wurden
mit zahmen Wölfen im Gelände Trennungsversuche durchgeführt. Die Abstände der Tiere untereinander lassen sich
natürlich nicht mit dem Meterband messen, sondern nur
schätzen, was aber nach einiger Übung hinreichend genau
möglich ist. Bei dieser Methode, Bindungen im Rudel zu
untersuchen, ergeben sich auch einige Schwierigkeiten. Zwei
Tiere können beispielsweise beide zum selben Ort im Gelände eine Bindung haben und sich nur deswegen nahe
beieinander befinden. Ein kleines Erlebnis soll diese Art
methodischer Probleme illustrieren.
    Nach dem Verlust ihrer Alpha-Stellung ging es Mädchen,
wie berichtet, sehr schlecht. Ihre Wunden heilten nicht gut,
und ihr Winterfell wuchs schlecht nach, vermutlich als
Folge des Kampfes und des mit dem Rangverlust zusammenhängenden Stresses. Mädchen fror. Daher nahm ich
sie mit nach Waldhäuser und steckte sie in den Zwinger
bei unserem Haus. Auch hier fror sie. So machte ich ihr
im Keller ein Lager : eine Schicht Heu mit einer Decke und
darüber eine wärmende Rotlichtlampe. Doch Mädchen war
immer noch nicht zufrieden. Stundenlang kratzte sie an
der Kellertür, um herauszukommen ; jetzt fehlte ihr vermutlich die Gesellschaft.
    Meine Schwiegermutter überkam das große Mitleid, und
sie schlug vor, Mädchen zu uns in die Wohnung zu nehmen. Ich war skeptisch, ließ mich aber schließlich überreden – unter der Bedingung, daß das Tier nur auf dem
Boden liegen dürfe. Mädchen fand aber bald heraus, daß
das Sofa im Wohnzimmer viel weicher und schöner war
als der harte Boden. Ihre Sturheit wurde nur noch von
meiner Ausdauer übertroffen ; immer wieder warf ich sie
vom Sofa herunter. Meine Schwiegermutter war jedoch
nicht so konsequent, und so schlief Mädchen bald in meiner Abwesenheit auf dem Sofa, und Schwiegermama saß
daneben. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, daß von nun
an die Bindung Mädchens an meine Schwiegermutter die
an mich bei weitem übertraf.
    Eines Tages fand Mädchen heraus, daß es noch etwas
Bequemeres gab als das Sofa, nämlich Schwiegermutters
weich gefedertes Bett. Am Tag hatte ich Mädchen in das
Gehege gesperrt. Es war Frühling, die Luft war warm, und
der Schnee schmolz schnell. Am Abend rutschte dann die
Schneelast vom Dach mit großem Gepolter in den Wolfszwinger hinein. Als ich später hinausging, um Mädchen
wieder ins Haus zu bringen, war von ihr nichts mehr zu
sehen. Ich dachte sofort an die Dachlawine. Ob Mädchen
darunter begraben lag ? Gerade war eine Gruppe von Studenten angekommen, die ich gleich anstellte. Mit langen
Stöcken stocherten wir wie richtige Lawinenretter in den
Alpen jeden Quadratdezimeter ab ; nichts. Dann gruben
wir überall tiefe Löcher in den nassen, schweren Schnee:
immer noch nichts. Um Mitternacht gaben wir schließlich
auf. Erschöpft gingen wir ins Haus zurück – und fanden
Mädchen schnarchend auf dem großen Federkissen im Bett
meiner Schwiegermutter. Über die hohen Schneemassen der
Dachlawine mußte sie durch das offene Fenster eingestiegen sein. Die Türen standen offen, und so fand sie bald den
weichsten und wärmsten Platz im ganzen Haus. Mädchen
ließ sich von unserem Lachen kaum beirren. Nach kurzem
Aufschauen schlief sie weiter und ließ sich später nur unter
größtem Protest aus dem Bett vertreiben.
    Fortan war dieses Bett das Ziel all ihrer Sehnsüchte. Sie
entwickelte geradezu erstaunliche Fähigkeiten, wieder dorthin zu gelangen, und nur zu oft mußten wir uns geschlagen geben. Was aber wäre gewesen, wenn wir zwei

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