Der Wolf
Loslösung sowohl der Älteren von den Welpen wie auch der
Welpen voneinander und von den Älteren ein Reifungsprozeß zugrunde liegt. Dabei reift die Verselbständigung
der Welpen etwas später als die Loslösung der Älteren von
den Welpen. Dies ist sicherlich von Vorteil, weil die Welpen so in der kritischen Zeit ihrer ersten Wanderungen
vorerst direkt beim Rudel bleiben. Erst mit zehn bis zwölf
Monaten sind sie in der Lage, sich selbständig zu ernähren, wenn auch meistens immer noch mehr schlecht als
recht. Im Rudel haben die Älteren inzwischen auch aufgehört, den Welpen Futter zuzutragen. Diese müssen es sich
nun selbst erjagen oder sich von der gemeinsam erlegten
Beute ihren Teil holen.
Im Zusammenhang mit der Verselbständigung der jungen Wölfe gibt es eine weitere recht interessante Beobachtung. Schon in Rickling fiel mir auf, daß sie allein eng bei
uns blieben, aber zu zweit oder zu mehreren sich viel eher
entfernten.
Um die Stärke dieser Geschwisterbindung einmal zu te s ten, machte ich später im Bayerischen Wald folgenden
Versuch. Zusammen mit Alexander und Wölfchen nahm
ich im Sommer zwei im selben Jahr geborene Welpen, Ho
und Tschi, aus dem Gehege. Zwei Studentinnen, die Ho
und Tschi aufgezogen hatten, kamen ebenfalls mit, desgleichen mein Hund Flow, an dem Ho und Tschi sehr hingen. Nachdem wir eine kurze Strecke zur Eingewöhnung
gelaufen waren, ließen wir einen der beiden Welpen frei
und trennten uns in zwei jeweils unterschiedlich starke
Gruppen. Der Welpe rannte unruhig zwischen den Gruppen hin und her und versuchte möglichst lange mit uns
allen Kontakt zu halten. Als es dann aber nicht mehr möglich war, entschied er sich schließlich in fast allen Versuchen für die Gruppe, bei der sich sein Bruder befand, auch
wenn sie deutlich kleiner als die andere war.
Diese enge Bindung der Welpen untereinander wird erst
im Alter von zehn bis zwölf Monaten geringer. Bis zum Alter
von einem halben Jahr ist sie aber immer noch erstaunlich
hoch – höher sogar als die Bindung zu den anderen Rudelmitgliedern. Die Frage, warum dies so ist, findet durch
einen weiteren Versuch ihre Erklärung. Ich wollte wissen,
ob die Älteren das Fehlen eines Welpen bemerkten, und
nahm daher im Sommer 1974, als sieben Welpen im Gehege
waren, jeweils ein, zwei oder drei Welpen heraus. Dies ging
nicht ohne die größte Aufregung ab, wodurch das Verhalten aller Gehegetiere für Stunden beeinflußt wurde. Nur
die wenigen Male, bei denen mir ein unbemerktes Wegfangen der Welpen glückte, konnte ich daher Daten für die
Auswertung gewinnen. Diese genügen aber, um zu zeigen,
daß wenigstens bei der Mutter Unruhe und Suchverhalten
eng korreliert sind mit der Anzahl fehlender Welpen. Fehlte
ein Welpe, zeigte die Mutter überhaupt keine erkennbare
Reaktion. Zwei und erst recht drei fehlende Welpen lösten
dagegen intensives Suchverhalten aus.
Demnach muß es für einen Welpen, wenn er einen Ausflug unternimmt, wichtig sein, diesen in Gesellschaft von
Geschwistern zu machen. Möglicherweise haben die Älteren nur zu der Welpengruppe insgesamt eine Bindung und,
jedenfalls zunächst, noch nicht zu jedem einzelnen Welpen.
Das Fehlen mehrerer Welpen wird daher eher bemerkt als
das Verschwinden eines einzelnen. Aus diesem Grund ist
es für die Welpen wichtiger zusammenzubleiben, als allein
Älteren zu folgen, zu denen sie den Kontakt bald verlieren können. Wenn sie in der Gruppe sind, richten sich die
Großen nach ihnen. Allein aber müssen sie sich eher selber helfen – und das kann schwer sein, wenn man klein
ist. Beobachtungen in freier Wildbahn zeigen überdies, daß
die Sterblichkeit der Welpen in diesen ersten Herbstmonaten besonders hoch ist.
Einfluß von Rang und Geschlecht
Im Gehege waren es vor allem die ranghohen Adulten,
die in der Nähe anderer Tiere zu finden waren. In Gesellschaft liefen, lagen und schliefen besonders häufig das
Alpha-Weibchen und eine Gruppe ranghoher Rüden, zu
denen sich die Juvenilen und die Welpen gesellten. Besonders eng geschlossen hielt das Rudel in den Wintermonaten zusammen, namentlich zur Ranzzeit, während die
Tiere im Sommer mitunter auch einzeln oder in kleineren
Gruppen anzutreffen waren. Dies bestätigt unsere bisherigen Erkenntnisse über das Rudel und entspricht wohl im
wesentlichen auch den Verhältnissen bei natürlich lebenden Wolfsrudeln.
Eine genauere Analyse des räumlichen Verhaltens im
Rudel ergab aber einige erstaunliche Unterschiede zwischen den
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