Der Wolf
Interesse an einem Aufstieg in der Rangordnung haben. In der Tat treten, wie wir
gesehen haben, bei diesen Tieren Rangauseinandersetzungen sehr viel häufiger auf als zwischen den älteren Wölfen.
Im Interesse eines effektiven Funktionierens des Rudels
als Einheit bei der Nahrungsbeschaffung und bei der Welpenaufzucht müssen diese Konflikte aber möglichst unterdrückt werden, und hierzu trägt die hierarchische Struktur des Rudels wesentlich bei. So herrscht zwischen den
Interessen des Individuums und denen der übergeordneten sozialen Gemeinschaft ein fein ausbalanciertes Gleichgewicht, das trotz individuellen Dranges nach oben die
Funktionsfähigkeit des Ganzen gewährleistet.
Der Wolf ist ein Tier der Superlative : Kein Tier wurde von Menschen
so gefürchtet und gehaßt wie der wilde Wolf keines so geliebt wie der
zahme Wolf und sein domestizierter Nachfahr, der Hund.
Oben: Erik Zimen mit Zora, dem ranghöchsten Weibchen seines jetzigen Rudels. Unten: Die Wölfe in den Abruzzen.
Erik Zimen und sein Team bei Filmaufnahmen in den Abruzzen für die
Fernsehserie Wildwege.
Vor der Paarungszeit der Wölfe im Winter nimmt die Aggressivität im
Rudel stark zu. Die Rangfolge wird neu bestimmt. Nur die ranghöchste
Wölfin, das Alpha-Weibchen, hat danach in der Regel das Recht, sich zu
paaren. Unter den Rüden (rechte Bildfolge) verhindert der Alpha-Rüde
(oben rechts) die Paarung rangniedriger Rüden mit »seinem« Weibchen.
Doch während er den ersten Nebenbuhler anspringt und verprügelt, versucht schon der zweite sein Glück, während das Alpha-Weibchen vor so
viel Aufmerksamkeit die Augen schließt.
Einer der drei in den Abruzzen mit
einem Radiosender markierten
Bastarde zwischen einer Wölfin und einem Hirtenhund. Man
beachte die schwarzen Streifen im
Fell.
In den ersten Wochen läßt die Wölfin meistens nur den Alpha-Rüden
zu ihren Welpen. Später dann beteiligen sich alle Rudelmitglieder an
der Aufzucht.
Selten greifen Wölfe in den Abruzzen Pferde an. Doch wenn, wie hier,
die Vorderbeine des Muttertiers mit eine Strick zusammengebunden
sind, damit es nicht weglaufen kann, nutzen die Wölfe ihre Chance
und greifen die Fohlen an.
Die Welpen werden in einer Höhle geboren. Im Alter von drei bis
vier Wochen kommen sie erstmals ins Freie.
Gezähmte Welpen laufen eng zusammen mit ihrem »Ersatzrudel«.
Links außen der Langhaarrüde Raas,
Bei gewöhnlichen Beißereien zwischen Rudelmitgliedern wird kaum
fest zugebissen, sondern nur gedroht und laut protestiert.
Heulen im Chor.
Die stürmische Zeit der Welpen vergeht wie im Fluge. Danach
beginnt der Ernst des Lebens, was fast unweigerlich zu Konflikten mit den Menschen führt.
Achtes Kapitel
Rudelbindung, Zusammenhalt und Führung
Unter »Rollenverhalten« versteht man in der Ethologie
typische Verhaltensweisen einzelner Tiere innerhalb einer
Gruppe, die einen Einfluß haben auf das Verhalten anderer
Gruppenmitglieder. Einige Rollen haben wir schon kennengelernt, zum Beispiel das Verhalten der Mutter und
das der Jungwölfe gegenüber den Welpen, die Aufpasserrolle der älteren Rüden und die zentrale aktivitätsbestimmende Rolle des Alpha-Rüden. Auch nach der herkömmlichen Vorstellung vom Wolfsrudel gibt es ja einen Leitwolf,
dem sich alle anderen unterwerfen. Dieses Rollenverhalten
der einzelnen Rudelmitglieder, das Individualinteresse, das
darin zum Ausdruck kommt, aber auch den Beitrag dieses
Verhaltens zur Funktionsfähigkeit des Rudels gilt es jetzt
genauer zu betrachten. Hier stellt sich zuerst die Frage nach
dem Rudelzusammenhalt. Wie wird das Rudel zusammengehalten, und wie finden dort die notwendigen Entscheidungsprozesse statt : wann und wo geschlafen, wann weitergelaufen wird, welcher Beute nachzujagen ist und so weiter ? Bestimmt ein Rudelführer, der »Leitwolf«, allein, oder
verlaufen solche Entscheidungsprozesse auf kompliziertere
Weise ? Dazu müssen wir zuerst die Bindungen zwischen
den einzelnen Wölfen im Rudel betrachten.
Rudelbindungen
Ob es einen speziellen sozialen Bindungstrieb gibt oder ob
Bindung durch andere Antriebe, wie Sexualität, Schutzverhalten oder Aggression, zustande kommt, ist unter Ethologen umstritten. Daher möchte ich den Begriff »Bindung«
hier nicht kausal, sondern operational definieren : als die
Tendenz von zwei oder mehreren Tieren, zusammenzubleiben beziehungsweise nach einer Trennung wieder zusammenzukommen. Die Stärke der Bindung läßt sich so an
dem räumlichen Abstand, den die
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