Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
unbesetzt bleibt«, sagte Amon. »Aber was passiert, wenn Prinzessin Raisa zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehrt?« Er spürte den Blick von Micah Bayars schwarzen Augen auf sich.
Lord Hakkam zuckte mit den Schultern. »Es gibt keine Verfügung, um … eine Änderung der Angelegenheiten vorzunehmen, sollte dieser Fall eintreten«, sagte er. »Ihr müsst zugeben, dass es verantwortungslos von ihr gewesen ist, einfach so wegzulaufen, ohne irgendjemandem ein Wort zu sagen.«
Entweder war Hakkam ziemlich mutig oder einfach nur dumm, die Erbprinzessin des Reiches als verantwortungslos zu bezeichnen. Allerdings konnte Amon verstehen, wieso die Adeligen Raisas Verschwinden missbilligten. Niemand hatte ihnen davon erzählt, dass ihrer Flucht die Aussicht auf eine erzwungene Hochzeit mit einem Magier vorausgegangen war. Vermutlich hatte man ihnen einfach nur mitgeteilt, dass Raisa sich mit der Königin gestritten habe und dann verärgert weggelaufen sei. Das Grauwolf-Geschlecht war für seine Halsstarrigkeit bekannt. Man brauchte nur Hanalea anzusehen.
Amon wusste, dass er lediglich versuchen konnte, Zweifel anzumelden und dafür zu sorgen, dass nichts überstürzt wurde. Aber wieso waren sie überhaupt auf die Idee gekommen, Amon Byrne von ihren Krönungsplänen zu erzählen? Es sei denn, sie gingen davon aus, dass Amon – sollte Raisa tatsächlich noch leben und er wissen, wo sie war – zu ihr zurücklief und ihr alles berichtete. Und das würde ihre Beute aufscheuchen, bevor sie echten Ärger machen konnte.
Also saß Amon einfach nur da und sagte gar nichts mehr, sondern wartete darauf, dass er endlich entlassen wurde. Währenddessen fragte er sich, was er Raisa erzählen sollte. Und wie er seine halsstarrige Königin davon abhalten konnte, etwas Dummes zu tun.
»Königin Mellony wird für ihre Wache einen Hauptmann benötigen«, sagte Lord Bayar und riss ihn in die Gegenwart zurück.
Oh.
Königin Mellony. Der Klang dieser Worte ließ Amon erschauern.
»Ja«, sagte er und nickte weise. »Das ist wahr.« Er wusste, dass er wie ein Tölpel klang, aber von sich aus würde er bestimmt kein Angebot machen. Sein Verstand raste. Raisa hatte recht gehabt, wie fast immer, wenn es um politische Angelegenheiten ging. Wenn sie dich fragen, musst du bereit sein einzuwilligen , hatte sie gesagt. Wenn du ablehnst, wirst du ihnen damit alles verraten. Es wird dein Todesurteil sein .
»Ich würde mich geehrt fühlen, Korporal Byrne, wenn Ihr Euch bereit erklärt, als Hauptmann meiner Wache zu dienen«, sagte Mellony und lächelte ihn an.
Amon war froh, dass Raisa ihn gewarnt hatte, froh, dass er jetzt nicht überrumpelt wurde. Aber die Bayars wussten doch, dass die Byrnes ihrer vollständigen Kontrolle über die erwählte Königin im Weg standen. Warum also sollten sie sich mit der Wahl eines Byrne als Hauptmann einverstanden erklären?
Raisa hatte einen möglichen Grund genannt: Die Bayars wussten, dass Mellonys Erhebung auf den Thron umstritten sein würde. Sie würden alles versuchen, um diesen Vorgang so legitim wie möglich erscheinen zu lassen. Und wenn ein Byrne entsprechend der Tradition zustimmte, ihr als Hauptmann zu dienen, würde das Mellony glaubwürdiger machen.
Der zweite Grund war, dass sie ihn wahrscheinlich für einen Dummkopf hielten.
Und der dritte war, dass sie ihn einfach in ihrer Nähe und im Auge haben wollten, um sich um ihn zu kümmern , sobald sie irgendwelche Anzeichen dafür fanden, dass er nicht kooperativ war.
Es war schwer, stets im Kopf zu behalten, wer von ihnen welche Geheimnisse kannte.
Amon begriff, dass er schon viel zu lange darüber nachdachte, während alle auf eine Antwort warteten.
»Ich – ich fühle mich geschmeichelt, Eure Hoheit«, sagte er. »Aber ich bin auch sehr überrascht. Obwohl ich fast vier Jahre in Odenford gewesen bin, bin ich immer noch ein Kadett. Ich bin erst achtzehn. Ich hätte erwartet, dass Ihr jemanden auswählen würdet, der über mehr Ausbildung und Erfahrung verfügt.«
»Kommt schon«, blaffte General Klemath. »So überrascht könnt Ihr wohl kaum sein, angesichts der Tatsache, dass diese Position seit der Zerstörung immer ein Byrne innehatte.«
Er scheint nicht sehr glücklich darüber zu sein, dachte Amon. Vielleicht hatte er damit gerechnet, dass man bei einem seiner Söhne für diesen Posten anklopfen würde.
»Wir halten Charakter und Ahnengeschlecht für wichtiger als Ausbildung und Erfahrung«, lächelte Mellony.
»Es sei denn, Ihr
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