Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
war, weil ich sie dort gesehen habe«, sagte er.
»Wenn Ihr das sagt«, erwiderte Amon gelassen. »Vielleicht ist sie dann ja immer noch dort. Sofern Ihr nicht etwas wisst, das ich nicht weiß.« Er machte eine Pause und fragte sich, ob Micah tatsächlich zugeben würde, dass er Raisa entführt hatte. Als Micah nicht antwortete, fügte Amon hinzu: »Wieso kümmert es Euch überhaupt, wo sie ist? Es sah mir ganz danach aus, als würdet Ihr … Prinzessin Mellony … unterstützen.« Er zog eine Braue hoch.
»Wenn Prinzessin Raisa noch am Leben ist, sollte auch sie zur Königin gekrönt werden«, sagte Micah.
Amon beäugte Micah und versuchte, im diffusen Licht seinen Gesichtsausdruck zu deuten. »Nun, Bayar, damit haben wir endlich mal einen Punkt gefunden, in dem wir übereinstimmen.«
»Wenn Ihr wisst, wo sie ist, müsst Ihr sie benachrichtigen«, fuhr Micah fort. »Sie muss zur Beerdigung von Königin Marianna erscheinen. Wenn Mellony erst gekrönt ist, wird es zu spät sein.«
»Ich habe Eure Stimme im Regentschaftsrat aber nicht gehört«, stellte Amon fest. »Dabei scheint er mir der richtige Adressat für Eure Worte zu sein. Nicht ein einfacher Korporal der Wache.«
Mich kannst du nicht zum Narren halten, dachte Amon. Du willst nur wissen, wo sie ist, und das, was du begonnen hast, zu Ende bringen. Den Magier fest im Blick schwang er sich schließlich in den Sattel und drängte seinen Wallach sanft zum Schritttempo, wobei er direkt auf Micah zuhielt.
Micah Bayar wartete bis zum allerletzten Moment, dann trat er zu Seite und sah zu, wie Amon an ihm vorbeiritt.
KAPITEL NEUNZEHN
Kalkuliertes Risiko
K urz nachdem die neue Königin ihm ihr Geständnis gemacht hatte, bat Han darum, in die Gäste-Lodge umziehen zu dürfen, um nicht unter ständiger Aufsicht zu stehen und sich freier bewegen zu können.
Willo hielt davon gar nichts. »Du wirst dich nur überlasten«, sagte sie. »Hier kann ich mich um dich kümmern und dafür sorgen, dass du nicht allzu viel Besuch bekommst.«
Darauf hätte er natürlich leicht erwidern können: »Aber du hast doch all die vielen Leute reingelassen, die ich lieber gar nicht erst gesehen hätte.« Allerdings war das nicht Willos Schuld. »Um mich muss sich niemand kümmern«, sagte er stattdessen. »Und etwas abseits von all dem Kommen und Gehen werde ich mich auch sicherlich besser ausruhen können.«
Willo saß neben Han auf der Pritsche. »Was wirst du tun, Hunts Alone?«, fragte sie.
»Was ich tun werde?« Han rieb sich den Nacken. »In Bezug auf was?«
»In Bezug auf Thorn Rose«, antwortete sie.
»Auf wen?« Han tat so, als würde er sie nicht verstehen. »Oh. Das Königinchen. Das Mädel hat mehr Namen als irgendeine Süße in Ragmarket.«
»Sei vorsichtig, Hunts Alone.« Willo sprach leise und eindringlich. Sie sah sich um, als wollte sie sicherstellen, dass niemand in Hörweite war.
»Ich bin immer vorsichtig«, antwortete Han. Er konnte nicht anders, als sich jetzt ebenfalls umzusehen.
»Ich meine es wirklich ernst. Wenn den Demonai klar wird, dass du dich in sie verliebt hast, werden sie dich töten.«
»Wer sagt, dass ich mich in sie verliebt habe?«, erwiderte Han, wich dabei aber ihrem Blick aus. »Wie kommst du darauf?«
»Ich habe dein Gesicht gesehen, als du sie mir vom Pferd heruntergereicht hast«, erklärte Willo. »Ich habe gehört, was du gesagt hast. Und wenn ich es sehen kann, können andere es auch sehen. Vergiss nie, dass Averill zuallererst ein Demonai ist – und er ist kein Narr. Er wird nicht zögern, dich zu töten, wenn er auch nur im Entferntesten ahnt, dass deine Absichten …«
»Ich habe keine Absichten, ja?«, knurrte Han. »Abgesehen davon natürlich, am Leben zu bleiben und aus diesem Mist hier so bald wie möglich rauszukommen. Schon das wird schwer genug werden.«
»Ich kenne dich.« Willo streckte die Hand aus und strich ihm eine Strähne aus den Augen. »Du wirst hinter dem her sein, was du haben willst, ganz egal, wie groß das Risiko ist. Und am Ende wirst du alles verlieren.«
Ich habe bereits alles verloren, dachte Han. Dann berichtigte er sich. Jedes Mal, wenn ich denke, ich habe alles verloren, stelle ich fest, dass es immer noch ein bisschen mehr zu verlieren gibt.
»Hör zu«, sagte er. »Ich bin kein Narr, auch wenn ich manchmal so tue. Ich mache mir keine Illusionen darüber, was ich Ihrer Hoheit bedeute. Ich weiß über Blaublütige Bescheid, und sie ist schlimmer als die meisten anderen. Sie hat mich vom
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