Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
Schlangenstab-Amulett.
»Ich bin der ursprüngliche Besitzer dieses Amuletts, das du jetzt trägst«, sagte Crow. »Ich hatte es für mich anfertigen lassen, als ich etwa in deinem Alter war. Ich brauchte etwas, das mächtig genug war, um Magie zu beschwören, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte. Und es gibt nichts auf der Welt, das ihm gleichkommt.«
Han stand erstarrt da. Jedes Wort, das er hätte sagen können, blieb ihm im Halse stecken.
»Nachdem Hanalea mich verraten hatte, wagte ich es nicht, mich den Bayars zu offenbaren«, sagte Crow. »Also habe ich mich tausend Jahre verborgen. Als das Amulett dann in deine Hände fiel, ergriff ich die Gelegenheit. Natürlich habe ich mir alle Mühe gegeben, dafür zu sorgen, dass sie es sich nicht zurückholen konnten.«
Han sah auf sein Amulett herunter und fuhr mit den Fingern über den Schlangenkopf. Dann sah er wieder zu Crow hinüber, und in diesem Moment erfasste sein Geist das ganze Ausmaß dieser Worte. »Das kann nicht dein Ernst sein«, flüsterte er. »Das kann unmöglich wahr sein.«
Crow lächelte immer noch, aber seine blauen Augen waren jetzt so hart wie Gletschereis. »Mein Name war Alger Waterlow«, sagte er und strich sanft über das Schlangenstab-Zauberstück. »Der letzte Magierkönig der Fells.«
Han starrte Crow sprachlos an. Sein Geist schäumte wie von einem Zaubertrank, dessen Zutaten nicht zusammenpassten.
Crow neigte den Kopf. »Du wirkst angemessen entsetzt, Alister. Aber bevor du etwas Voreiliges tust, lasse ich dich jetzt allein und gebe dir Zeit, über das nachzudenken, was ich gesagt habe. Ich bin, wie du zweifellos herausgefunden hast, immer hier und immer verfügbar. Komm nach Aediion zurück, wenn du bereit bist, dich mit mir zusammenzutun. Sofern das jemals der Fall sein sollte.«
Er starrte Han noch einen langen Moment an, als hoffte er, dass Han ihn zurückhalten würde. Dann erlosch er wie eine billige, kleine Kerze.
KAPITEL DREI
Gute und schlechte Gedanken
W ährend der langen Reise von Fetterford nach Delphi vergaß Raisa sogar hin und wieder, dass sie eigentlich ziemlich wütend war.
Wütend auf Gerard Montaigne, das Ungeheuer, in dessen Macht sich ihre Freunde befanden.
Wütend auf diejenigen, die zu Hause daran arbeiteten, sie um ihr Geburtsrecht zu bringen, und dabei nicht einmal vor Mord und anderen Mitteln zurückschreckten.
Wütend auf Hauptmann Edon Byrne, der offensichtlich dazu bereit war, seinen eigenen Sohn für das Grauwolf-Geschlecht zu opfern.
Vor allem aber war sie wütend auf sich selbst. Hätte sie damals, vor fast einem Jahr, das Königinnenreich gar nicht erst verlassen, wäre nichts von alldem passiert.
Aber es war nicht gerade leicht, wütend zu bleiben, während sie immer wieder im Sattel einschlief. Sie zuckte regelmäßig zusammen, wenn Hauptmann Byrne sie mit einer Hand im Rücken stützte und davor bewahrte, vom Pferd zu fallen. »Ihr müsst etwas essen, Eure Hoheit«, pflegte er dann zu sagen und reichte ihr einen Beutel mit getrockneten Früchten und Nüssen. »Das wird Euch helfen, wach zu bleiben.«
Für gewöhnlich nahm sie das Essen entgegen, ohne lange nachzudenken – ohne sich daran zu erinnern, dass sie ihm immer noch nicht vergeben hatte. Wenn es ihr dann wieder einfiel, hatte er sein Pferd schon längst weitergetrieben oder sich zurückfallen lassen; auf jeden Fall aber war er zu weit von ihr weg, als dass sie einfach hätte mit ihm reden können. Sie sprach sowieso nicht viel mit ihm – nur das Notwendigste –, da sie nicht vorhersehen konnte, was aus ihr herausplatzen würde.
Byrne trieb seine Soldaten wie ein Besessener an – Raisa vermutete, dass er sie wahrscheinlich sogar die ganze Nacht hätte durchreiten lassen, wenn die Pferde das ausgehalten hätten. So aber verließen sie noch vor Sonnenaufgang ihr Lager und ritten bis weit nach Einbruch der Dunkelheit – obwohl die Tage ohnehin schon länger wurden, während sich auf den Feldern um sie herum das erste Grün zeigte und der Schnee an den unteren Hängen der nördlichen Berge schmolz.
Byrne hatte sich entschieden, nach Osten durch das nördliche Arden zu reiten, statt direkt nach Norden, wie Raisa eigentlich angenommen hatte. »Wenn Lord Bayar weiß, dass Ihr in Fetterford wart«, hatte er seine Entscheidung begründet, »wird er davon ausgehen, dass Ihr das Königinnenreich bei Westgate betreten werdet. Also müssen wir etwas tun, womit er nicht rechnet.«
Ardens Streitkräfte waren nach Süden abgezogen
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