Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
zwischen ihnen zu schlichten. Ihre Krönung war offiziell für ihren siebzehnten Geburtstag angekündigt worden. Immer mehr Gäste strömten nach Fellsmarch, während der Tag näher rückte; allen voran Adelige und Magier aus allen Teilen der Fells. Jedes noch so kleine Gästezimmer im Schloss und in den Gebäuden auf dem Schlossgelände wurde genutzt. Gäste geringeren Standes strandeten zunächst einmal vor den Mauern und warteten darauf, eingelassen zu werden.
Einige der besonders erlesenen Gemächer der Schlossanlage standen noch leer; sie waren für jene Adeligen reserviert, die aus den Reichen der Flatlands anreisten, wie der König von Arden. Die meisten Gäste würden erst kurz vor der Krönung eintreffen und bis zum Ball und den anschließenden Empfängen bleiben.
Micah Bayar und Reid Nightwalker nahmen an fast jeder Party teil und tanzten so oft wie möglich mit Raisa, ohne dabei den Mitbewerber aus den Augen zu lassen. Auch Han war stets anwesend; Raisa sah ihn häufig an der Wand lehnen und sie und ihre Verehrer beobachten.
Dabei war es sicher nicht leicht für ihn, sich angesichts der vielen Ablenkungen zu konzentrieren. Sowohl die Hofdamen wie auch die auswärtigen weiblichen Gäste schenkten Han beachtliche Aufmerksamkeit. Ein rücksichtsloser Streetlord, ein magiebegabter Dieb, ein Mitglied des Magierrates, noch dazu umwerfend hübsch – was konnte eine Lady mehr verlangen, noch dazu von einem flüchtigen Liebhaber?
Und er tanzte ständig – mit Missy Hakkam, mit seinen Kommilitoninnen von Mystwerk und mit Pearlie Greenholt, da Talia immer noch nicht ganz gesund war. Stets stand er im Mittelpunkt einer weiblichen Schar. Raisa konnte nicht verhindern, dass ihr auffiel, mit wem und wie oft er tanzte und wie anmutig er über die Tanzfläche glitt, während seine goldenen Haare im Fackellicht schimmerten.
Besonders, da er nie mit ihr tanzte.
Missy Hakkam war wie ein schillernder Planet in einem Orbit, in dessen Zentrum Han stand – wenn sie nicht gerade mit einem der eher unbedeutenden Prinzen der unteren Reiche flirtete. Raisas Kusine nutzte jede Gelegenheit, um Han zu berühren und sich an ihn zu klammern, und bei allem, was er sagte, kicherte sie heftig.
Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste. Bei einer Party zwei Nächte vor der Krönung hatte Han mit Fiona Bayar getanzt. Als Raisa mit Nightwalker um ihn herumgekreist war, hatte Fiona ihre Arme um Han’s Hals gelegt, ihren Kopf an seine Schulter gebettet und sich so eng an ihn gedrückt, dass keine Hand mehr zwischen beide gepasst hätte.
Verzieht euch gefälligst in irgendeinen dunklen Korridor!, dachte Raisa verärgert.
Und dann, kurz danach, berichtigte sie sich. Nein, lieber nicht.
Während Raisa zusah, legte Fiona den Kopf leicht in den Nacken und lächelte über etwas, das Han gesagt hatte. Sie musste sich nicht weit zurückneigen, sie war so verflucht groß.
Weißt du nicht, wie riskant es ist, Fiona so nah zu kommen?, dachte Raisa. Sie ist nur hinter deinem Amulett her. Wie auch immer, ich dachte, du würdest die Bayars hassen. Weißt du überhaupt, wie man mit Groll richtig umgeht?
Traditionsgemäß verbrachte die Prinzessin die Nacht vor dem Krönungsball in völliger Abgeschiedenheit, betete zum Schöpfer und bat ihre Ahnen um Führung. Also zog Raisa sich pflichtbewusst die Tempelhose und ein lockeres Hemd an und befahl den Wachen vor der Tür, niemanden einzulassen.
Nachdem Magret gegangen war, kniete Raisa sich vor den Altar in ihrem Wohnzimmer und versuchte, sich zu konzentrieren. In Anbetracht ihrer gegenwärtigen Situation konnte sie etwas göttliche Einmischung durchaus gebrauchen. Dennoch schweiften ihre Gedanken immer wieder ab und hüpften von der Gegenwart in die Vergangenheit.
Sie musste an ihren Namenstag vor fast genau einem Jahr denken. Zusammen mit Magret hatte sie darauf gewartet, dass ihr Vater kam, um sie zum Tempel zu führen. Stattdessen war Gavan Bayar aufgetaucht, was eine ganze Reihe von Ereignissen in Gang gesetzt hatte, die immer noch nachwirkten. Morgen würde sie siebzehn werden. Zwischen ihrem Namenstag und der Krönung hatte sie nur ein einziges Jahr Zeit gehabt.
Und genau wie damals fühlte Raisa sich eingeengt. Es war, als würde wieder eine Falle um sie herum zuschnappen, als würden sich Türen schließen. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Sie brauchte frische Luft.
Sie stand auf und ging in ihr Schlafzimmer, vorbei an dem kunstvollen Tempelgewand, das neben dem Bett hing,
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