Der Wolfsthron: Roman
schien er ein Interesse daran zu haben, dass sie am Leben blieb.
Sie war ungeduldig gewesen, sie hatte die Geduld mit ihren Beratern verloren. Es mochte sich vielleicht gut anfühlen, sich Lord Bayar entgegenzustellen, aber möglicherweise würde sie dafür einen hohen Preis zahlen. Sie musste ihre Position erst festigen, ehe sie sich weitere Feinde machte.
Sie dachte über die Kosten dieses Spiels nach. Sie würde Han Alister nicht gegen Fiona austauschen. Sie wollte keine drei Bayars im Rat, und sie hatte Han ihr Wort gegeben.
»Danke für Eure Zeit, Eure Hoheit«, sagte Micah und unterbrach ihre Gedanken. »Guten Abend.« Er machte Anstalten wegzugehen.
»Wartet.« Raisa stand auf.
Er drehte sich halb um und blieb abwartend stehen.
Eines gab es, das sie tun konnte – eine berechnende Entscheidung in einer Situation, die ein kühles Herz und einen klaren Kopf verlangte. Etwas, das mögliche Handlungen gegen sie lange genug in Schach hielt, sodass sie Zeit hatte, ihre eigene Verteidigung aufzubauen.
»Ihr habt mich überzeugt, Micah«, sagte Raisa. »Bis zu diesem Grad – wenn Ihr Euch wirklich Sorgen um meine Sicherheit macht, dürft Ihr Eurer Familie erzählen, dass ich Euch gestattet habe, mir den Hof zu machen – mit Diskretion. Dass ich verhalten empfänglich für Eure Avancen bin. Ich werde mir alle Mühe geben, dieser Geschichte in der Öffentlichkeit nicht zu widersprechen. Aber ich mache keinerlei Versprechungen darüber hinaus.«
Er neigte den Kopf mit ausdrucksloser Miene.
»Wir können damit nicht vor den Spirit Clans herumwedeln wie mit einer verfluchten Flagge. Und angesichts all dessen, was schon zwischen uns geschehen ist, versteht Ihr sicher, wieso ich nicht riskieren kann, allein mit Euch zu sein.«
»Ich akzeptiere diese Bedingungen«, sagte Micah. »Aber ich warne Euch in aller Aufrichtigkeit – ich werde mir alle Mühe geben, Eure Meinung zu ändern.«
»Und ich warne Euch in aller Aufrichtigkeit – früher oder später werdet Ihr Euch zwischen mir und Eurem Vater entscheiden müssen. Was immer zwischen uns passiert, Ihr werdet Euch entscheiden müssen, wem Eure Loyalität letztendlich gilt.«
»Ich habe mich bereits entschieden, Eure Hoheit.« Micah verbeugte sich, dann drehte er sich um und ging davon; seine Gestalt verlor sich in den Schatten.
Raisa stand da und sah ihm nach. Sie fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte. Würde sie in der Lage sein, Lord Bayar davon zu überzeugen, dass sie Micah als Bewerber akzeptiert hatte, es gleichzeitig vor den Clans zu verbergen und ihn dennoch auf Abstand zu halten?
Würde sie stark genug sein, ihn auf Abstand zu halten?
Zurück im Schloss wartete Han Alister bereits vor der Tür zu ihren Gemächern. Er unterhielt sich mit den Blaujacken, die dort postiert waren. Cat Tyburn stand neben ihm, aber Raisa hätte sie gar nicht wiedererkannt, wenn Cat nicht gerade den Kopf zurückgeworfen und ihr kehliges Lachen ausgestoßen hätte, als Raisa dort auftauchte.
Cat trug ein Kleid – hatte Raisa sie jemals schon in einem Kleid gesehen? –, ein Rüschenkleid in sattem Apricot, das gut zu ihrer dunklen Haut passte. Armreifen zierten beide Handgelenke, ihre Haare waren am Hinterkopf zu einer Schnecke zusammengerollt, ihre Lippen in einem dunklen Himbeerrot geschminkt.
Raisa und ihre Eskorte blieben vor der Tür stehen.
Han verbeugte sich, und Cat brachte einen Knicks zustande. »Eure Hoheit«, sagte Han. »Lady Tyburn und ich hoffen, dass Ihr ein paar Augenblicke Zeit für uns erübrigen könnt.« Er neigte den Kopf zur Tür. »Allein?«
»L-Lady Tyburn?« Raisa blinzelte die beiden argwöhnisch an. »Nun – ein paar Augenblicke, ja«, sagte sie. »Ich muss vor dem Essen noch einiges lesen.«
Sie folgten ihr in ihr Zimmer und warteten, bis Mick die Tür hinter ihnen wieder geschlossen hatte.
Da tauchte Magret aus Raisas Schlafzimmer auf. »Eure Hoheit. Ich hatte Euch früher zurückerwartet. Ich habe mich gefragt, ob Ihr vielleicht ein Bad haben möchtet, bevor …« Ihre Stimme versiegte, als ihr Blick auf Han und Cat fiel. Ihre Lippen schlossen sich, und ihr Mund wurde zu einer harten Linie.
»Ich werde nach dem Essen baden, danke«, antwortete Raisa und ging die Umschläge durch, die in dem Ablagefach in der Tür lagen. »Du kannst dich bis dahin zurückziehen.«
»Es macht mir nichts aus, noch zu bleiben«, sagte Magret überschwänglich und wölbte die Brauen. »Vielleicht braucht Ihr etwas, oder vielleicht brauchen Eure
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