Der Wolfsthron: Roman
Jemson und trank selbst aus dem Kelch, ehe er ihn beiseitestellte.
Vergesst das nur nicht, dachte Raisa und sah die Bayars an.
»Kniet nieder, Eure Hoheit«, sagte Jemson.
Raisa ließ sich auf die Knie sinken, und das Krönungsgewand breitete sich um sie herum aus.
Jemson nahm die prachtvolle Grauwolf-Krone von ihrem Samtkissen und hob sie hoch. »Kraft der Autorität, die mir als Redner des Kathedralen-Tempels der Stadt des Lichts übertragen wurde, kröne ich Euch, Raisa ana ’Marianna, Königin der Fells, dreiunddreißigste des neuen Geschlechts.« Und damit setzte er ihr die Krone aufs Haupt.
Die Grauwolf-Königinnen auf dem Podest beugten ihre Köpfe in Anerkennung ihrer neuen Schwesterkönigin und lösten sich wie Nebelschwaden im Sonnenlicht auf.
Raisa erhob sich mit steifem Nacken unter dem Gewicht der Krone; sie fürchtete unterschwellig, dass sie herunterfallen könnte. Jemson trat zur Seite. Ihre Begleiter versammelten sich hinter ihr, und sie schritt würdevoll den Mittelgang entlang, während die versammelten Adeligen applaudierten.
Vermutlich ist dies das letzte Mal, dass sich alle gemeinsam über etwas freuen, das ich tue, dachte Raisa.
Als sie den Hof überquerte, hörte sie von den Balkonen her Rufe, aber sie hatte Angst, hochzusehen und dabei ihre Krone zu verlieren. Rosenblätter wirbelten überall um sie herum zu Boden.
Als sie sicher im Schloss angekommen war, nahm sie die Krone mit beiden Händen ab und reichte sie Amon, um sie gegen die leichtere Tiara einzutauschen.
Sie stieg die prächtige Treppe zum dritten Stock hoch und ging dann den Korridor entlang, wobei sie versuchte, nicht über ihr Krönungsgewand zu stolpern. Ihre Begleiter folgten ihr wie ein hübscher Federschmuck.
Mittlerweile hatten sich Tausende unten im Hof eingefunden – Männer, Frauen, Kinder. Zweifellos waren einige auch aus purer Neugier gekommen, weil sie noch nie zuvor ins Schloss eingeladen worden waren. Aber viele von ihnen trugen Rosen an ihrer Kleidung, ein paar davon echt, andere wiederum einfallsreiche Varianten aus Stoff, allesamt helle Farbflecken auf Grau und Braun.
Als Raisa an die Brüstung des Balkons trat, brach die Menge in lauten Jubel aus. »Rai-sa! Rai-sa! Rai-sa!« und »Dornenrose! Dornenrose!«
Raisa streckte beide Hände aus, und die Menge rief: »Wer seid Ihr, und was führt Euch heute zum Tempel?«
»Ich bin Raisa ana’ Marianna, Grauwolf-Königin der Fells«, erwiderte sie, und der Jubel begann von Neuem und erstarb erst, als sie ihre Hände hob und um Ruhe bat.
»Menschen der Fells! Eine Krönung ist Ende und Anfang zugleich«, rief sie. »Das Ende einer Zeit der Unsicherheit und der Anfang einer neuen Ära. Das Ende der Herrschaft von Marianna und der Anfang der Herrschaft von Raisa. Das Ende einer Prinzessin und die ersten Schritte einer Königin. Das Ende der Kindheit« – sie machte eine Pause und rümpfte die Nase – »und jetzt, vermute ich, erwarten alle von mir, dass ich erwachsen bin.«
Gelächter wogte durch die Menge.
»Aber in mancher Hinsicht werde ich nie erwachsen werden. So glaube ich zum Beispiel immer noch an Wunder. Aber ich weiß, dass Wunder zu denen kommen, die sehr hart arbeiten. Ich schwöre, dass ich sehr hart für euch arbeiten werde.«
Wieder brach Jubel aus.
»Ich glaube weiterhin an die Menschen der Fells. Obwohl harte Zeiten herrschen und von allen Seiten Gefahr droht, werden wir alle Feinde überwinden, wenn wir zusammenarbeiten – Bewohner des Vales, Magier und Spirit-Clans. Hört aufeinander, und ich werde auf euch hören.
Und schließlich, neben all der harten Arbeit, glaube ich an Partys.« Dieser Bemerkung folgte stürmischer Beifall. »Heute Nacht werden wir die größte Party erleben, die die Stadt des Lichts je gesehen hat. Ich werde tanzen, und ich hoffe, dass ihr ebenfalls tanzen werdet. Danke!«
Als sie sich umdrehte, prasselten Jubelschreie wie dicke Tropfen auf ihren Rücken.
Und so war es vollbracht. Raisa war die Königin der Fells – die dreiunddreißigste des neuen Geschlechts von Hanalea. Dafür war sie geboren worden – und erzogen. Dafür hatte sie gekämpft, und manchmal hatte sie gedacht, dass sie dafür sterben würde. Sie hatte eine lange Geschichte voller Tragödien und Triumphe hinter sich und ein Leben voller harter Arbeit vor sich. Es war Zeit anzufangen.
Epilog
D ie offiziellen Feierlichkeiten waren längst zu Ende, doch in Fellsmarch war die Krönungsparty noch lange nicht vorbei. Die Gäste strömten
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