Der Wolfsthron: Roman
ich dich zu dem Zeitpunkt noch nicht erkannt.« Er rieb sich das Kinn. »Ich habe mich dazu entschieden, dir zu folgen und zu sehen, ob ich dir helfen kann.«
Jetzt blickte Rebecca auf und legte den Kopf schief. »Tatsächlich? Wenn du mich nicht erkannt hast, wieso hast du dann beschlossen einzugreifen?« Sie wedelte mit der Hand. »Immerhin hätte ich auch eine Verbrecherin sein können, die von der Wache der Königin gejagt wurde.«
»Sechs gegen eine«, sagte Han und dachte, dass es eigentlich nicht so schwer war, darauf zu kommen. »Am Ende sogar acht gegen eine. Von deiner Größe her habe ich vermutet, dass du eine Frau oder ein Mädchen sein müsstest – und du hast nicht zurückgeschossen. Abgesehen davon haben sie keine Uniformen oder Abzeichen getragen, und daher konnte ich nur zu dem Schluss kommen, dass es sich um Gewalttäter handeln musste. Aber selbst wenn sie Abzeichen gehabt und ihre Blaujacken getragen hätten, wäre es mir ungerecht vorgekommen. Ich hatte zwar keine Ahnung, um was es ging, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es im Interesse der Königin ist, acht Männer loszuschicken, um ein Mädchen wie dich zu töten.« Er sah Rebecca direkt an. »Denn wenn die Königin so etwas befürwortet, dann stimmt was nicht mit ihr.«
Da war wieder dieser Ausdruck in Rebeccas Gesicht, als wäre sie geschlagen worden.
Han überdachte seine Worte noch einmal. Nein, es klang alles sinnvoll, und er konnte nichts Beleidigendes daran finden.
»Also – was ist dann passiert?«, fragte Rebecca heiser.
»Zu dem Zeitpunkt, als ich euch eingeholt habe, hattest du dich in der Schlucht verschanzt, und sie haben dich gesucht.« Han nahm einen großen Schluck Tee. Sein Mund war immer noch unangenehm trocken.
»Ich hab erst begriffen, dass du es warst, als ich dich aus deinem Versteck rausgeholt habe. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie du in eine solche Sache hineingeraten konntest. Als ich mir dann deine Verletzung angesehen habe, ist mir klar geworden, dass der Bolzen vergiftet gewesen ist, und …«
»Warte einen Moment«, unterbrach ihn Rebecca und hob eine Hand. »Was ist mit den Männern passiert, die mir aufgelauert hatten?«
Han zögerte, während er sich fragte, was sie wohl von ihm halten würde. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich habe sie getötet.«
Rebecca starrte ihn an, als würde sie darauf warten, dass er auch den Rest der Geschichte erzählte. » Alle ? Es ist keiner entkommen?«
Er nickte und begann sich zu fragen, warum sie so wild auf Einzelheiten war. War sie etwa rachsüchtig oder blutrünstig, oder hatte sie Angst, dass sie zurückkommen könnten? »Ich hatte nicht gerade eine Wahl.«
»Du hast ganz allein acht Männer getötet?«
»Na ja«, sagte Han geduldig. »Ich hab sie überrascht.«
»Hast du … hast du Magie benutzt?«
Er schüttelte den Kopf. »Dazu gab es keinen Grund. Mein Bogen war völlig ausreichend.« Als sie nichts erwiderte, fügte er hinzu: »Einer meiner Lehrer hat immer gesagt, zu den wichtigsten Dingen, die ein Magier lernen muss, gehört die Fähigkeit zu erkennen, wann man besser keine Magie anwendet. Ansonsten besteht die Gefahr, in irgendeiner Situation plötzlich ohne Magie dazustehen, wenn man sie wirklich brauchen würde. Man bewahrt sie und sammelt sie, und wenn man welche benutzen muss, dann nur so viel, wie wirklich nötig ist.«
Er hörte auf zu reden; er wusste, dass das viel zu viel war. Warum sollte sie sich ausgerechnet für das interessieren, was Crow zu sagen hatte?
»Also, was ist dann passiert, nachdem du sie getötet hast?«, fragte Rebecca weiter. Sie schien immer noch an der Vorstellung zu knabbern, dass er acht Männer mit seinem Langbogen erledigt hatte.
»Ich wusste, dass ich dich nur retten konnte, wenn ich dich zum Marisa-Pines-Camp brachte, in der Hoffnung, dass Willo da ist.«
»Richtig. Du hast Marisa Pines ja gekannt«, sagte Rebecca. Sie zog die Stirn kraus. »Willo hat erzählt, dass du hier jeden Sommer verbracht hast?«
Han nickte müde. Es tat so gut, sie zu sehen – und er bemühte sich, wach zu bleiben und es zu genießen. Doch all dieses Gerede erschöpfte ihn.
»Aber du warst derjenige, der mir das Leben gerettet hat«, fuhr sie fort. »Du hast Hohe Magie eingesetzt. Das hat Willo gesagt.«
»Nun ja. Mir ist klar geworden, dass du tot sein würdest, bevor wir hier ankommen, wenn ich nichts tue.« Er verzog das Gesicht. »Also ist es nur gut gewesen, dass ich meine Magie nicht benutzt
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