Der Wolfsthron: Roman
und die Demonai haben gestern Abend eine Abeornan-Zeremonie abgehalten und ihn auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Sie haben ihn wie einen gefallenen Krieger geehrt. Sehr ungewöhnlich, dass sie einen Flatlander so ehren.«
Noch mehr Erinnerungen. Rebecca Morley, wie sie um ihr Leben ritt. Der Hinterhalt in der Schlucht. Die vergiftete Bolzenspitze.
Han packte Dancer am Ärmel, um es herauszusprudeln, bevor es wieder verblasste. »Byrne und Rebecca sind zusammen gereist, in einer Gruppe von Blaujacken, als sie angegriffen wurden. Soweit ich weiß, ist sie die Einzige, die überlebt hat.«
Eine weitere Erinnerung kehrte zurück – eine tiefe Verbindung, ein Band, das sie aneinanderschmiedete, Seele an Seele, während er darum kämpfte, sie am Leben zu halten. Und Wölfe – graue Wölfe, die wie Gespenster zwischen den Bäumen herumtrotteten.
Hatte sie überlebt? Sie war dem Tode nahe gewesen, als sie hier angekommen waren. Aber da war doch irgendwas, dachte er, mit Rebecca und Haferschleim …
»Rebecca! Wo ist sie?«, fragte Han.
»Genau darüber wollte ich mit dir reden. Über Rebecca Morley«, sagte Dancer. Er warf einen Blick zum Vorhang, als hätte er Angst, dass sie gestört werden könnten. »Es gibt da etwas, das du wissen solltest.«
Furcht prickelte in Han’s Nacken. Er musterte Dancers Gesicht nach irgendwelchen Hinweisen und begann schon, das Schlimmste zu befürchten. »Sie ist nicht tot. Ich könnte schwören, dass sie irgendwann hier war, um nach mir zu sehen. Da hat sie ganz in Ordnung gewirkt. Sie hat sogar versucht, mich mit Haferschleim zu füttern.«
War es möglich, dass er nur geträumt hatte und all seine Bemühungen umsonst gewesen waren?
Dancer schüttelte den Kopf. »Nein, es geht ihr gut. Es geht ihr jeden Tag besser. Sie hatte eine schlimme Verletzung im Rücken, aber du hast den Großteil des Giftes aufgenommen, und deshalb hat sie sich schneller erholt. Sie ist sogar auf dem Weg zu dir. Ich wollte dich nur warnen, dass …«
In diesem Moment wurde der Vorhang zur Seite geschoben, und Dancer sah auf. Rebecca glitt hindurch.
Sie trug weite Clan-Röcke, die ihr fast bis zu den Knöcheln reichten, und verzierte, mit Nieten besetzte Lederstiefel. Darüber hing ein locker fallendes, am Ausschnitt von Stickereien gesäumtes Leinenhemd, um das sie in der Taille eine handgewebte Schärpe gebunden hatte. Ihren Hals schmückte eine Goldkette aus Rosen und Dornen, und die dunklen Haare umrahmten ihre grünen Augen wie eine weiche, glänzende Kappe.
Selbst in Han’s gegenwärtig geschwächtem Zustand war sie eine Augenweide.
Er blickte an sich hinunter und dachte, dass er sich vielleicht etwas frisch machen sollte.
Aber hey, dachte er dann, schließlich ist sie der Grund dafür, dass du dich fühlst, als hätte dich ein Mistwagen platt gefahren – und dass du auch genauso aussiehst. Aber sie zu sehen, einfach nur zu sehen, dass sie am Leben und gesund war – das war es wert. Er würde es wieder tun.
»Han«, sagte sie und blieb gleich beim Eingang stehen, als wäre sie unsicher, ob sie willkommen war. »Darf ich reinkommen?«
»Kommt drauf an«, sagte Han und versuchte, witzig zu klingen. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du versucht, mir das Herz rauszuschneiden, glaube ich.«
»Und als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du mich mit Haferschleim bespuckt, glaube ich«, gab sie zurück. Dann zuckte sie zusammen; wahrscheinlich erinnerte sie sich daran, dass sie letztendlich der Grund für das Haferschleim-gespucke gewesen war.
Sie versuchte zu lächeln, aber ihr Gesicht wirkte angespannt, ja richtig nervös, und sie wich seinem Blick aus. »Geht es dir gut genug, dass wir einen Moment reden können?«
Han zuckte mit den Schultern und sah sich im Raum um. »Ich hab nichts – ich habe keine Pläne, soweit ich weiß.« Es kam ihm vor, als wäre es ewig her, seit sie seine Lehrerin gewesen war und er sich in Etikette und geschliffener Rede geübt hatte, und dennoch konnte er es nicht lassen, sich in ihrer Gegenwart zu verbessern.
Rebecca sah Cat und Dancer an. »Könntet ihr uns ein Weilchen allein lassen?«
Cat hatte sichtlich etwas dagegen. Aber Dancer nahm sie am Ellenbogen und schob sie aus dem Zimmer.
Rebecca sank auf einen Stuhl gleich neben seiner Pritsche. Sie war sehr blass, ihre Nase war rosa, und die Wimpern wirkten verklebt, als hätte sie geweint.
»Ich bin … so froh, dass du inzwischen besser aussiehst«, sagte sie und strich ihre Röcke
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