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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Hausangestellte, Reinigungskräfte. Also fiel ich nicht besonders auf. Als Hae-Joo kurz darauf zum Sanitär ging, bekam ich einen weiteren Anhaltspunkt dafür, warum niemand so empört reagierte wie die Studenten. Eine Frau mit Teenagerteint, rubinroten Sommersprossen, aber verdächtig alten Augen sprach mich an. ‹Verzeihen Sie, wenn ich Sie belästige, aber ich bin Medien-Trendscout›, sagte sie. ‹Mein Name ist Lily. Ich habe Sie beobachtet!› Sie kicherte. ‹Damit muss eine Frau von Ihrem Mut, Ihrer Eleganz und vor allem Ihrer Voraussicht wohl rechnen, nicht wahr?›
    Ich war tief verlegen.
Sie sagte, ich sei die erste Konsumentin, die sich getraut hatte, ihr Gesicht wie das eines berühmten Service-Duplikanten designen zu lassen. ‹Angehörige niedrigerer Schichten›, verkündete sie feierlich, ‹finden es vielleicht verwegen, ich finde es genial.› Dann fragte sie mich, ob ich nicht für ein ultratrendiges 3D-Magazin modeln wolle. Die Bezahlung sei galaktisch , die Freunde meines Freundes würden vor Eifersucht platzen , und eifersüchtige Kerle seien für uns Frauen schließlich genauso wichtig wie Dollars in der Seele.
Ich bedankte mich, lehnte aber ab mit der Begründung, dass Duplikanten keine Freunde haben. Sie musterte mit nachsichtigem Lächeln mein Gesicht und bat mich inständig, ihr den Namen meines Facedesigners zu verraten. ‹Ich muss diesen Künstler kennen lernen! Diese Präzision!›
Nach dem Bruttank und der Orientierung, sagte ich, hätte ich mein Leben hinter einem Papa-Song-Tresen verbracht und würde daher keine Facedesigner kennen.
    Ihr neckisches Lachen klang verärgert.
     
    Ah, jetzt verstehe ich – sie konnte nicht glauben, dass du keine Reinblüterin bist!
Sie gab mir ihre Karte und drängte mich, sie anzurufen, wenn ich es mir anders überlegt hätte. ‹So eine Gelegenheit läuft einem nicht alle Tage über den Weg.›
Als das Taxi mich vor dem Eintracht-Haus absetzte, bat mich Hae-Jo Im, ihn beim Vornamen zu nennen. ‹Herr Im›, das klinge, als sei er im Seminar. Zum Abschied fragte er mich, ob ich am nächsten Neunten Tag schon etwas vorhätte.
Ich antwortete, er solle seine kostbare Zeit nicht mit Pflichtdiensten für seinen Professor verschwenden.
Er räumte ein, dass er sich da auf eine ungewisse Sache eingelassen hatte, betonte aber, dass es ein schöner Abend gewesen sei. ‹Lass uns das Ganze wiederholen.›
Ich willigte zögerlich ein.
     
    Dann hat dir euer Ausflug geholfen, dich von deiner … Schwermut zu befreien?
Ich begriff, dass der Schlüssel zur eigenen Identität die persönliche Umwelt ist. Meine Umwelt war Papa Song gewesen, und diesen Schlüssel hatte ich verloren. Ich merkte, dass ich meinen X-Arbeitsplatz unter dem Chongmyo Plaza wiedersehen wollte. Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann, aber ein innerer Impuls kann stark und doch relativ unklar sein.
     
    … War es nicht unklug, als aufgestiegene Bedienerin das Restaurant zu besuchen?
Ich behaupte nicht, dass es klug war, aber es war notwendig. Auch Hae-Joo Im äußerte eine Woche später Bedenken. Er befürchtete, ‹längst begrabene Dinge› könnten wieder aufgewühlt werden.
Aber genau darum ging es. Ich hatte zu viel von mir selbst begraben.
Er willigte ein, und ich drehte mir unter seiner Anleitung die Haare auf und schminkte mich. Ein xtravaganter Seidenschal verbarg mein Halsband, und im Fahrstuhl hinunter zum Taxi setzte er mir seine Sonnenbrille mit den jadegrünen Gläsern auf.
An einem Neunten Abend im Monat Vier war Chongmyo Plaza nicht der von Abfall übersäte Windkanal, den ich in Erinnerung hatte, sondern ein brodelndes Kaleidoskop aus AdVs, Konsumenten, Xecs und Popsongs. Der monumentale Geliebte Vorsitzende blickte mit weisem, gütigem Gesicht auf seine wuselnden Untertanen hinunter. Am südöstlichen Ende des Platzes tauchten die Bögen vom Papa Song auf. Hae-Joo hielt meine Hand und erinnerte mich daran, dass wir jederzeit umkehren konnten. Wir stellten uns am Fahrstuhl an; er steckte mir einen Seelenring an den Finger.
     
    Wozu?
Als Glücksbringer: Hae-Joo hatte eine abergläubische Ader. Wir zwängten uns in den überfüllten Fahrstuhl, und der Kasten fuhr nach unten; damals, mit Herrn Chang, war alles so anders gewesen!
Plötzlich ging die Tür auf, und der Strom der hungrigen Konsumenten zog mich ins Restaurant; ich erstarrte, fassungslos darüber, wie sehr meine Erinnerungen mich getäuscht hatten.
     
    Inwiefern?
Der riesige Dom: so winzig. Die herrlichen roten

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