Der Wolkenatlas (German Edition)
Nea So Copros in einer längst zum Deadland erklärten Provinz in der gescheiterten Demokratie Europa gedreht wurde. Haben Sie schon einmal einen Film aus dem frühen einundzwanzigsten Jahrhundert gesehen, Archivar?
Ein Archivar der Achten Schicht kann von einer solchen Sondergenehmigung nicht einmal träumen! Ich staune, dass ein einfacher Dok an ein so aufwieglerisches Stück Fiktion herankam, selbst wenn er von der Eintracht war.
Warum unser konzernokratischer Staat alles Reden über die Geschichte verbietet, ist eine schwierige Frage. Vielleicht, weil die Geschichte uns einen Schatz an menschlichen Erfahrungen überliefert, mit dem die Medien nicht konkurrieren können? Wenn dem so ist, wozu gibt es dann Archive wie in Ihrem Ministerium, deren bloße Xistenz ein Staatsgeheimnis ist?
Das kann ich dir nicht sagen. Wie war deine persönliche Meinung über dieses Grausame Martyrium ?
Die Welt darin faszinierte mich; sie war so unvergleichlich anders. Damals wurden alle Hilfsarbeiten von Reinblütern verrichtet; die einzigen Duplikanten waren kranke Schafe. Die Menschen wurden im Alter schlaff und hässlich: kein Elixia. Die Alten warteten in Gefängnissen für Senile und Inkontinente auf den Tod: keine festgelegte Lebensdauer, kein Euthanasium.
Das klingt bedrückend dystopisch.
Die Dystopie war und ist nicht das Produkt staatlicher Politik, sondern der Armut. Der leere Vorführraum verlieh den verregneten Landschaften des alten Disneys einen gespenstischen Rahmen. Diese Riesen, die im Sonnenlicht über die Leinwand marschierten, lebten zu einer Zeit, Archivar, als Ihr Ururgroßvater noch im Mutterleib strampelte.
Zeit bringt Geschichte abrupt zum Stillstand; Zeit ist die Geschwindigkeit, mit der die Vergangenheit gelöscht wird. Filme lassen diese untergegangenen Welten für einen kurzen Augenblick wiederauferstehen. Die längst abgerissenen Häuser, die längst verwesten Gesichter zogen mich in ihren Bann. Wir waren einmal, wie ihr jetzt seid , sagten sie. Die Gegenwart ist ohne Belang . Die fünfzig Minuten, die ich mit Hae-Joo vor der Leinwand verbrachte, waren eine Übung im Glücklichsein.
Nur fünfzig Minuten?
Als der Titelheld in einer Schlüsselszene eine Art Schlaganfall erlitt und sein verzerrtes Gesicht über einem Teller mit Erbsen erstarrte, surrte plötzlich Hae-Joos Handsony. Eine Stimme rief panisch: ‹Ich bin’s, Xi-Li! Ich stehe draußen! Lass mich rein! Etwas Entsetzliches ist passiert!› Hae-Joo drückte auf die Fernbedienung, und die Tür öffnete sich; gelbes Licht fiel keilförmig auf die leeren Sitze. Ein schweißüberströmter Student rannte auf uns zu, salutierte vor Hae-Joo und überbrachte Neuigkeiten, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollten. Wieder einmal. Vierzig bis fünfzig Vollstrecker hatten die Eintracht-Fakultät gestürmt, Professor Mephi verhaftet, und jetzt suchten sie nach uns. Sie hatten den Befehl, Hae-Joo zum Verhör mitzunehmen und mich auf der Stelle zu töten. Alle Kontrollpunkte der Universität wurden bewacht.
Was dachtest du, als du das gehört hast?
Ich konnte nicht denken.
Mein Begleiter strahlte eine Furcht erregende Autorität aus, die er, wie mir plötzlich klar wurde, schon von Anfang an gehabt hatte. Er sah auf seine Rolex und fragte, ob Herr Chang noch auf freiem Fuß sei. Xi-Li meldete, er sei zum Parkplatz im Keller geeilt.
Während im Hintergrund ein längst verstorbener Schauspieler eine vor hundert Jahren erfundene Figur darstellte, sah mir der Mann, den ich bisher als Dok Hae-Joo Im gekannt hatte, in die Augen und sagte: ‹Sonmi, ich bin nicht genau der, als der ich mich ausgegeben habe.›
Sloosha’s Crossin’ un wies weiterging
Die Wege von Old Georgie un mir ham sich mehr gekreuzt als wie ich mich dran erinnern will, un keiner weiß was der Teufel mit seinn Reißzähnen nich noch alles mit mir vorhat wenn ich mal tot bin … drum gebt mir was von euerm Hammel un ich erzähl euch von unser ersten Begeknung. Nee, nich so n spillriches verkohltes Stück, ne dicke saftiche Scheibe …
Mein Bruder Adam un Pa un ich kamn auf schlammichen Straßen vom Markt in Honokaa, plitschnass un mit ner kaputten Akse am Karrn. Der Abend kriegte uns früh ein, drum schlugen wir unser Lager am Südufer von Sloosha’s Crossin’ auf, weil der Waipio war vom tagelangn schwern Regen und ner Springflut angeschwolln un reißnd. Sloosha war sumfich, aber freundliches Gebiet, im Waipio Tal tat keiner wohnen außer ne Milljon
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