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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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und gelben Farben: grell und geschmacklos. Die gute Luft: Gestank nach altem Fett, der mir Würgereiz verursachte. Nach der Stille in Taemosan empfand ich den Lärm im Restaurant wie nicht endendes Geschützfeuer. Papa Song stand auf Seinem Sockel und begrüßte uns. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Unser Logoman würde Seine verlorene Tochter sicher verdammen, oder nicht?
Nein. Er zwinkerte uns zu, zog sich an seinen eigenen Schnürsenkeln hoch, nieste, machte ‹Huch!› und plumpste zurück auf Seinen Sockel. Die Kinder kreischten vor Vergnügen. Wie hatte ein lebloses Hologramm uns so große Ehrfurcht einflößen können?
Während Hae-Joo sich auf die Suche nach einem Tisch machte, ging ich um die Nabe herum. Meine Schwestern standen lächelnd im sanften Schein der Deckenbeleuchtung. Wie unermüdlich sie arbeiteten! Ich sah Yoonas, und da drüben war Ma-Leu-Da~108, an deren Halsband noch immer der Stern meiner toten Freundin prangte. Meine Rachepläne kamen mir plötzlich so belanglos vor. Konnte ich ein schlimmeres Schicksal ersinnen als zwölf Jahre in einem Papa Song? An meiner alten Station im Westteil stand ein Sonmi-Frischling. Und da war Kyelim~889, Yoonas Ersatz. Ich stellte mich an ihrer Kasse an. Meine Nervosität wuchs, je weiter ich vorrückte. ‹Hallo, ich bin Kyelim~889! Unwiderstehlich lecker, Papa Song! Bitte schön, was darf es heute sein?›
Ich fragte, ob sie mich erkannte.
Kyelim~889 schenkte mir ein xtra strahlendes Lächeln, um ihre Verunsicherung zu überspielen.
Ich fragte sie mit leiser, deutlicher Stimme, ob sie sich an Sonmi~451 erinnerte, eine Bedienerin, die neben ihr gearbeitet hatte und eines Morgens verschwunden war.
Ein leeres Lächeln. Das Verb ‹erinnern› gehörte nicht zu ihrem Wortschatz. ‹Hallo, ich bin Kyelim~889! Unwiderstehlich lecker, Papa Song! Bitte schön, was darf es heute sein?›
Ich fragte: ‹Bist du glücklich, Kyelim~889?›
Begeisterung blitzte in ihrem Lächeln auf, und sie nickte. – ‹Glücklich› ist ein Wort aus dem Zweiten Katechismus, Archivar. Ich kann sie immer noch alle auswendig. Solange ich den Katechismen gehorche, liebt mich Papa Song; solange Papa Song mich liebt, bin ich glücklich. Ein grausamer Impuls drängte sich mir auf. Ich fragte die Kyelim, ob sie nicht so leben wollte wie die Reinblüter. An einem Restauranttisch sitzen, anstatt ihn abzuwischen.
Kyelim~889 sagte voll dienstbeflissenen Eifers: ‹Bedienerinnen essen Seife!›
Ja, bohrte ich weiter, aber wollte sie denn nicht das Draußen sehen?
Die Bedienerin machte ein ebenso entsetztes Gesicht wie ich damals, als Yoona~939 ihre Abweichungen äußerte. Sie sagte: ‹Bedienerinnen gehen erst ins Draußen, wenn sie Zwölfsterne sind.›
Eine junge Konsumentin mit Zinklöckchen und Plektronnägeln stieß mich an. ‹Wenn Sie unbedingt blöde Duplikanten hänseln müssen, tun Sie das gefälligst an Ersten Morgen und nicht an Neunten Abenden. Ich will noch vor der Ausgangssperre in den Gallerias sein, klar?›
Eilig bestellte ich bei Kyelim~889 Rosensaft und Hai-Gummis. Ich wünschte mir Hae-Joo an meine Seite: Ich hatte Angst, die Ringseele könnte nicht richtig funktionieren und mich als geflohenen Duplikanten entlarven.
Die Ringseele funktionierte, aber durch meine Fragerei stand ich jetzt als Unruhestiftern da. ‹Setzen Sie Ihren eigenen Duplikanten Flausen in den Kopf!›, knurrte der Freund der Konsumentin finster, als ich mich mit meinem Tablett an ihm vorbeischob. ‹Abolitionistin!› Andere Reinblüter in der Schlange musterten mich, als litte ich an einer ansteckenden Krankheit.
Hae-Joo hatte im Westteil einen freien Tisch gefunden. Wie viele zehntausend Male hatte ich ihn abgewischt? Er fragte behutsam, ob ich nützliche Erkenntnisse gewonnen hätte.
Ich flüsterte: ‹Wir sind hier zwölf Jahre lang nichts anderes als Sklaven .›
Der Eintracht-Dok kratzte sich am Ohr, überzeugte sich, dass niemand uns belauschte, und trank nickend von seinem Rosensaft. Die nächsten zehn Minuten sahen wir uns schweigend AdVs an.
     
    Dein Besuch bei Papa Song war also eine … Enttäuschung? Hast du den «Schlüssel» zu deinem aufgestiegenen Ich gefunden?
Der Schlüssel war vermutlich, dass es keinen Schlüssel gab. Im Papa Song war ich eine Sklavin gewesen; in Taemosan war ich eine Sklavin mit kleinen Privilegien. Auf dem Weg zum Fahrstuhl ereignete sich allerdings noch etwas. Ich erkannte eine Xec-Frau wieder, die an ihrem Sony arbeitete. Ich sprach ihren Namen laut aus:

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