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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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stabilsten Staatspyramide in der Zivilisationsgeschichte schon zufügen, selbst wenn es sechs Millionen sind?
Wer würde an den Fließbändern arbeiten? Die Abwässer aufbereiten? Die Fischfarmen versorgen? Öl fördern, Kohle abbauen? Die Reaktoren in Gang halten? Häuser bauen? In Restaurants bedienen? Brände löschen? Die Grenzen abriegeln? Exxontanker beladen? Tragen, graben, ziehen, schieben? Säen, ernten?
Die Reinblüter haben die Fähigkeiten verlernt, mit denen Gesellschaften errichtet werden. Die eigentliche Frage lautet: Welchen Schaden können sechs Millionen Aufsteiger mit Hilfe von Grenzmilizen und Subschicht-Reinblütern am Rand des Untermenschendaseins verhindern ?
     
    Die Eintracht würde rasch für Ordnung sorgen. Nicht jeder Ordnungshüter ist ein Doppelagent der Union.
Über welche Einschüchterungsmittel verfügt die Eintracht denn? Soll sie die Aufsteiger mit Colts bedrohen? Selbst ein Service-Duplikant wie Yoona~939 zog der Sklaverei den Tod vor.
     
    Langsam, langsam … zum Zeitpunkt deiner Flucht wusste die Eintracht längst von der Verschwörung – sie hatte versucht, euch festzunehmen. Die Seifenfabriken würden blitzschnell hinter Schutzmauern verschwinden.
Die Eintracht wusste von Unionsspionen in Taemosan und einem aufgestiegenen Service-Duplikanten. Mehr nicht.
     
    Und deine Rolle in diesem … Superplan?
Zunächst sollte ich den Beweis liefern, dass Suleimans Aufstiegskatalysator funktionierte. Das hatte ich getan, indem mein Verstand nicht wieder verkümmerte. Der Katalysator wurde in riesigen Mengen in verschiedenen unterirdischen Fabriken synthetisiert.
‹Deine nächste Rolle›, informierte mich Hae-Joo an jenem Morgen, ‹ist die einer Botschafterin.› General Apis – der Karpfen aus dem Mah-Johngg-Haus – wollte mich als Emissärin einsetzen; ich sollte zwischen der Union und den Duplikanten vermitteln und dabei helfen, aus den Aufsteigern Revolutionäre zu machen.
     
    Wie hast du dich mit dieser Rolle in einer terroristischen Vereinigung gefühlt?
Zutiefst beklommen. Ich sei nicht dafür genomiert, die Geschichte zu verändern, erklärte ich dem Unionler, aber er antwortete nur, dass sei noch keiner gewesen. ‹Denk darüber nach›, drängte er mich. Apis hoffte, ich würde meine Entscheidung bis zu unserem Wiedersehen treffen. Bis dahin verlangte die Union lediglich, dass ich ihren Vorschlag nicht sofort ablehnte.
     
    Warst du nicht neugierig darauf, wie sich die Union eine schönere Zukunft vorstellte? Woher wolltest du wissen, ob die neue Ordnung nicht eine noch schlimmere Tyrannei hervorbringen würde? Denk an die Bolschewiken, an Saudi-Arabien, an die Pfingstrevolutionen in Nordamerika. Ist eine Politik der kleinen Schritte, der behutsamen Reformen nicht der klügste Weg, um große, notwendige Veränderungen herbeizuführen?
Für einen Archivar aus der Achten Schicht verfügen Sie über einen ungewöhnlich hohen Bildungsgrad. Sind Sie auf dieses Diktum bei Ihrer Lektüre über das frühe zwanzigste Jahrhundert gestoßen? Ein Abgrund kann nicht mit zwei Schritten überquert werden?
     
    Wir kreisen um eine strittige Kernfrage, Sonmi. Lass uns zu deiner Reise zurückkehren.
Gegen Stunde Elf erreichten wir auf Nebenstraßen die Suanbo-Ebene. Flugzeuge vernebelten den Horizont mit safrangelben Düngerwolken zur Schädlingsbekämpfung. Da Hae-Joo befürchtete, die EyeSats könnten uns aufspüren, fuhren wir durch eine Baumplantage der HolzCorp weiter. Nächtliche Regenfälle hatten die unbefestigte Straße in Morast verwandelt, sodass wir nur langsam vorankamen, aber wir sahen kein anderes Fahrzeug. Die Norfolktanne-Gummibaum-Hybriden standen streng in Reih und Glied und erweckten die Illusion, als marschierte der Wald an unserem Geländeford vorbei; ein millionenstarkes Regiment. Ich stieg nur einmal unterwegs aus, als Hae-Joo einen Kanister voll Exxon in den Tank füllte. In der Ebene hatte die Morgensonne geschienen, aber auf der feuchten Plantage herrschte selbst bei Tag Dämmerung. Bis auf den Wind, der durch die stumpf gezüchteten Tannennadeln pfiff, war alles still. Die sterilen Bäume waren genomiert worden, um Vögel und Ungeziefer abzuwehren; die stehende Luft stank nach Insektiziden.
Der Wald hörte so abrupt auf, wie er begonnen hatte; die Landschaft wurde hügelig. Die Straße bog nach Osten; im Süden erhob sich die Woraksan-Bergkette, im Norden lag der Ch’ungjusee. Diesmal kam der üble Gestank aus dem See; die Abwässer der Lachsfarmen, sagte

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