Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
Vorstellung. ‹Oh, äh, Ok-Kyun Pyo. Wir, äh, wir wollen zu einem Motel in einer der äußeren BZs.› Hae-Joo blickte sich um und machte eine anzügliche Geste, deren Bedeutung ich von Boom-Sook und Fang gelernt hatte. Er erzählte irgendeinen Quatsch über seine Mutter und deren Katze, wurde aber barsch abgewürgt. Der Vollstrecker wollte wissen, wie weit es bis zu diesem Motel sei; immerhin war es schon nach Stunde Dreiundzwanzig.
‹Das PengPengDuBistTot in Yōju›, antwortete Hae-Joo verschwörerisch. ‹Gemütlich, sauber, reelle Preise, aber ein Vollstrecker wie Sie darf das Haus sicher gratis testen. Auf der Schnellspur sind es nur dreißig Minuten von hier, Ostausfahrt 10.› Bis zur Ausgangssperre wären wir locker dort, beteuerte er.
Der Vollstrecker wollte wissen, wobei Hae-Joo sich den Zeigefinger verletzt hatte.
‹Ach, deshalb ist das Auge ausgeflippt?› Hae-Joo schlug sich mit der Hand an die Stirn und schilderte, wie er sich im Haus der Mutter seiner Freundin beim Entsteinen einer echten Avocado geschnitten habe. Das viele Blut überall, wie peinlich, für ihn gäbe es ab jetzt nur noch Avocados ohne Stein, die Natur mache mehr Ärger, als sie wert sei.
Der Vollstrecker spähte in den Ford und befahl mir, die Kapuze abzusetzen.
Ich hoffte, dass er meine Angst als Schüchternheit interpretierte.
Ob mein Freund immer so geschwätzig sei, fragte er mich.
Ich nickte zaghaft.
‹Sind Sie deshalb so stumm?›
‹Ja›, antwortete ich. ‹Ja, Herr Vollstrecker.›
Bis zu ihrem Hochzeitstag seien alle Mädchen gehorsam und bescheiden, meinte der Vollstrecker zu Hae-Joo; dann würden sie zu quasseln anfangen und nie mehr aufhören. ‹Weiterfahren›, knurrte er.
     
    Wo habt ihr die Ausgangssperre verbracht? In dem Motel?
Nein. An der zweiten Ausfahrt fuhren wir auf eine unbeleuchtete Landstraße. Hinter einem Damm mit dornigen Kiefern verbarg sich ein Industriegebiet mit über hundert Einheiten. Es war kurz vor Beginn der Ausgangssperre, und unser Ford war weit und breit das einzige Fahrzeug. Wir parkten und gingen über einen windigen Vorplatz zu einem Betonklotz. HYDRA GÄRTNEREI stand auf einem Schild. Hae-Joo öffnete mit seiner Seele die Rolltür.
Dahinter befand sich keine Gartenbaueinheit, sondern eine von Rotlicht ausgeleuchtete Arche mit riesigen Tanks. Die Luft war unangenehm schwül. Zuerst konnte ich durch die Tankfenster nur eine trübe, faserige Brühe erkennen. Dann traten einzelne Gliedmaßen und Hände hervor; schließlich Gesichter, noch nicht vollends ausgebildet, aber alle identisch.
     
    Bruttanks?
Ja, wir befanden uns in einer Genomikeinheit. Ich betrachtete die Duplikantenembryos, die in Trauben im Uterusgel schwammen. Einige schliefen, manche lutschten am Daumen, andere strampelten mit Armen oder Beinen, als würden sie graben oder laufen. Ich fragte Hae-Joo, ob auch ich hier gezüchtet worden war.
Hae-Joo verneinte: Papa Songs Gärtnerei in Kwangju sei fünfmal so groß. Er spähte in einen der Bruttanks und sagte, die Embryos würden für die Uranschächte unter dem Gelben Meer gezüchtet – daher die tellergroßen Augen. Wenn man sie zu lange ungefiltertem Tageslicht aussetzte, würden sie den Verstand verlieren.
Hae-Joo war von der Hitze ganz nass geschwitzt. ‹Du brauchst bestimmt deine Seife, Sonmi›, sagte er. ‹Zu unserem Sechs-Sterne-Penthouse geht’s hier lang.›
     
    Ein Penthouse? In einer Duplikantengärtnerei?
Der Unionler hatte eine Schwäche für Ironie. Unser Penthouse war ein Nachtwächterkabuff mit kahlen Betonwänden, einer Wasserdusche, einer schmalen Liege, einem Tisch, ein paar aufgestapelten Stühlen, einer verstopften Aircon und einer kaputten Tischtennisplatte. Dicke, dröhnende Rohre strahlten Hitze ab. Mehrere Sonys überwachten die Bruttanks, das einzige Fenster ging zur Gärtnerei. Hae-Joo meinte, ich solle vorsichtshalber duschen, da es am nächsten Tag vielleicht keine Gelegenheit dazu gebe. Er hängte ein Stück Plane auf, damit ich meine Privatsphäre hatte, und baute sich, während ich mich wusch, ein Bett aus Stühlen. Als ich aus der Dusche kam, lagen auf der Liege ein Beutel Seife und frische Sachen.
     
    Wie konntest du an diesem völlig fremden Ort schlafen, obwohl du nicht mal Hae-Joos richtigen Namen kanntest? Hast du dich nicht ausgeliefert gefühlt?
Nein. Das Stimulin in der Seife hält Duplikanten zwanzig Stunden wach, aber wenn uns die Müdigkeit überfällt, kippen wir quasi im Stehen um.
Drei Stunden später war ich wieder

Weitere Kostenlose Bücher