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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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haute cuisine .
     
    Ernie Blacksmith und Veronica Costello, Zeit für euren Auftritt. Ernie und ich hatten so unsere kleinen Reibereien, doch wenn es diese beiden Dissidenten nicht gegeben hätte, würde Schwester Noakes mich heute noch mit Medikamenten voll pumpen. Eines bewölkten Nachmittags, als die Untoten für den großen Schlaf probten, die Belegschaft eine Besprechung abhielt und die Träume in Haus Aurora lediglich von einem Wrestlingkampf zwischen Fat One Fauntleroy und dem Dispatcher gestört wurden, bemerkte ich, dass jemand die Eingangstür ungewohnt fahrlässig einen Spaltbreit aufgelassen hatte. Mit einer Notlüge über angeblichen Schwindel und dem Bedürfnis nach frischer Luft bewaffnet, schlich ich mich hinaus. Die Kälte versengte mir die Lippen, und ich zitterte! Die Genesung hatte mir alles Fettgewebe geraubt; ich war von quasi Falstaff’scher Fülle zu einer hageren Gestalt à la John of Gaunt geschrumpft. Es war das erste Mal seit dem Schlaganfall vor sechs oder sieben Wochen, dass ich mich wieder nach draußen wagte. Ich verließ das vertraute Gelände, entdeckte eine alte Ruine und kämpfte mich durch verwahrlostes Gestrüpp zur backsteinernen Außenmauer vor, die ich nach Lücken absuchte. Ein Pionier vom Special Air Service hätte mit einem Nylonseil hinüberkraxeln können, nicht aber ein Schlaganfallopfer am Stock. Während ich weiterging, sah ich, wie der Wind verwitterndes, packpapierbraunes Laub zu Haufen schichtete. Schließlich erreichte ich das prächtige Eisentor, das mit einem fetten, pneumatischen Elektronikdingsbums gesichert war. Elender Mist, es gab sogar eine Überwachungskamera und eins von diesen Gegensprechdingern! Ich stellte mir vor, wie Schwester Noakes den Kindern (fast hätte ich «Eltern» geschrieben) künftiger Bewohner großspurig versicherte, dass sie, dank dieser modernsten Sicherheitsvorkehrungen, nun wieder beruhigt schlafen konnten, was natürlich nichts weiter hieß als: «Zahlen Sie pünktlich, und Sie hören keinen Mucks mehr.» Der Ausblick verhieß nichts Gutes. Hull lag im Süden, für ein gesundes Bürschchen ein halber Tagesmarsch über die mit Telegrafenmasten gesäumten Nebenstraßen. Nur verirrte Urlauber würden jemals am Anstaltstor vorbeistolpern. Als ich die Auffahrt zurückging, hörte ich Reifenquietschen und wildes Gehupe, das von einem jupiterroten Range Rover kam. Ich trat zur Seite. Der Fahrer war ein bulliger Kerl in einem jener silbernen Anoraks, die bei Leuten, die mit Spendengeldern ihre Nordpolexpeditionen finanzieren, so beliebt sind. Der Range Rover kam mit quietschenden Bremsen vor der Eingangstreppe zum Stehen, und der Fahrer stolzierte wie ein Fliegerass aus Jaguare der Lüfte zum Empfang hinauf. Auf dem Weg zum Haupteingang kam ich am Heizungsraum vorbei. Ernie Blacksmith steckte den Kopf zur Tür heraus: «Schlückchen Feuerwasser gefällig, Mr.   Cavendish?»
    Darum musste man mich nicht zweimal bitten. Im Heizungsraum roch es nach Dünger, doch der Kohleofen des Kessels verbreitete eine wohlige Wärme. Mr.   Meeks, ein Langzeitbewohner, der die Stellung des Anstaltsmaskottchens bekleidete, thronte auf einem Sack Kohlen und gab glückliche Babylaute von sich. Ernie Blacksmith war eher der stille Typ, den man erst auf den zweiten Blick bemerkt. Der achtsame Schotte verkehrte mit einer Dame namens Veronica Costello, die, so hieß es, einst Besitzerin des besten Hutgeschäfts in der Geschichte Edinburghs gewesen war. Äußerlich wirkten die beiden wie Gäste eines heruntergekommenen, tschechowschen Hotels. Ernie und Veronica respektierten meinen Wunsch, ein gemeiner alter Pinscher zu sein, und dafür schätzte ich sie. Ernie förderte aus einem Kohleneimer eine Flasche irischen Malzwhiskey zutage. «Wenn Sie glauben, Sie kämen hier ohne Hubschrauber raus, sind Sie schon so gut wie erledigt.»
    Ja nichts ausplaudern. «Ich?»
    Mein Bluff zerschellte am eisernen Ernie. «Setzen Sie sich auf Ihre vier Buchstaben», befahl er mir grimmig.
    Ich gehorchte. «Gemütlich hier.»
    «Ich war früher staatlich geprüfter Kesselschmied. Ich warte die Anlage kostenlos, dafür drückt die Heimleitung bei den ein, zwei kleinen Freiheiten, die ich mir herausnehme, ein Auge zu.» Ernie schenkte großzügig Whiskey in zwei Plastikbecher. «Prost.»
    Regen auf die Serengeti! Kakteen blühten, Cheetas sprangen umher! «Wer ist Ihre Quelle?»
    «Der Kohlenhändler ist ein ganz vernünftiger Mann. Im Ernst, sehen Sie sich vor. Withers geht jeden

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