Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
bewundere bitte meine geistige Spannkraft.) Obwohl die Rezeption unbesetzt schien, robbte ich wie im Manöver am Empfangstresen vorbei und richtete mich mühsam wieder auf – eine beachtliche Leistung. Im Büro der Noakes war es dunkel. Ich probierte die Türklinke, und tatsächlich, sie gab nach. Schwups, war ich drin. Durch den Türspalt drang gerade genug Licht. Ich nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von Cavendish Publishing, kam aber nicht zu meinem Anrufbeantworter durch.
    «Die gewählte Rufnummer ist nicht vergeben. Legen Sie den Hörer auf, überprüfen Sie die Rufnummer und wählen Sie erneut.»
    Verzweiflung. Ich befürchtete das Schlimmste; vermutlich hatten die Hoggins mein Büro so gründlich abgefackelt, dass sogar die Telefone geschmolzen waren. Ich versuchte es noch einmal, vergeblich. Die einzige andere Telefonnummer, die ich nach dem Schlaganfall noch zusammenkriegte, war der nächste – und letzte – Ausweg. Nach fünf- oder sechsmal Klingeln meldete sich meine Schwägerin Georgette mit ihrer schmollenden Kleinmädchenstimme, die mir, Gott steh mir bei, nur allzu vertraut war. «Es ist längst Schlafenszeit, Aston.»
    «Georgette, ich bin’s, Timbo. Gibst du mir bitte Denny?»
    «Aston? Was hast du denn?»
    «Hier ist nicht Aston, Georgette! Hier ist Timbo!»
    «Dann gib mir Aston wieder!»
    «Ich kenne keinen Aston! Hör zu, ich muss dringend mit Denny sprechen.»
    «Denny kann jetzt nicht ans Telefon kommen.»
    Leicht übergeschnappt war Georgette immer schon gewesen, aber nun klang sie, als wäre sie endgültig über den Regenbogen hinausgaloppiert. «Hast du getrunken?»
    «Nur, wenn es ein nettes Weinlokal mit gutem Keller ist. Pubs kann ich nicht ausstehen.»
    «Nein, jetzt hör mir doch mal zu, ich bin’s, Timbo, dein Schwager! Ich muss dringend mit Denholme sprechen.»
    «Du hörst dich an wie Timbo. Timbo? Bist du das?»
    «Ja, Georgette, ich bin’s, und wenn das ein …»
    «Ziemlich merkwürdig von dir, nicht mal zur Beerdigung deines eigenen Bruders aufzutauchen. Das findet übrigens die ganze Familie.»
    Der Fußboden drehte sich. «Was?»
    «Wir wussten ja von euren Kabbeleien, aber ich meine  …»
    Ich brach zusammen. «Georgette, du sagtest gerade, Denny sei tot. War das ernst gemeint?»
    «Natürlich war es das. Hältst du mich für plemplem?»
    «Sag es nochmal.» Mir versagte die Stimme. «Ist – Denny – tot?»
    «Glaubst du etwa, ich denke mir so was aus?»
    Schwester Noakes’ Stuhl knarrte wie unter Folterqualen und Verrat. «Wie, Georgette, um Himmels willen, wie?»
    «Wer sind Sie? Es ist mitten in der Nacht! Wer spricht da überhaupt? Aston, bist du das?»
    Meine Kehle schnürte sich zusammen. «Timbo.»
    «Na, unter welchem feuchten Stein hast du dich denn versteckt?»
    «Nun sag’s endlich, Georgette. Wie», es auszusprechen machte es noch schlimmer, «ist Denny gestorben?»
    «Beim Füttern seiner kostbaren Karpfen. Ich bestrich gerade Kräcker mit Entenpastete. Als ich Denny zum Abendessen holen wollte, trieb er im Teich, mit dem Gesicht nach unten. Vielleicht lag er schon den ganzen Tag da drin, ich war schließlich nicht sein Babysitter. Dixie hatte ihm geraten, sparsam mit dem Salz zu sein, Schlaganfälle kommen in seiner Familie öfter vor. Aber jetzt geh bitte aus der Leitung und gib mir Aston.»
    «Und wer ist jetzt da? Bei dir?»
    «Nur Denny.»
    «Aber Denny ist doch tot!»
    «Das weiß ich! Er liegt ja schon seit … Wochen im Teich. Wie soll ich ihn denn da herausholen? Ach, Timbo, sei doch so lieb und bring mir einen Präsentkorb von Fortnum and Mason mit, ja? Ich habe alle Kräcker aufgegessen und die Drosseln alle Krümel, ich habe nur noch Fischfutter und Cumberlandsauce im Haus. Aston hat sich nicht mehr gemeldet, seit er Dennys Kunstsammlung mitgenommen hat, um sie seinem Expertenfreund zu zeigen, und das war vor … Tagen, nein, Wochen. Sie haben mir das Gas abgestellt und …»
    Licht stach mir in die Augen.
    Withers stand breit in der Tür. «Sie schon wieder.»
    Ich fuhr aus der Haut. «Mein Bruder ist gestorben! Tot, verstehen Sie? Mausemausetot! Meine Schwägerin ist verrückt und hat keine Ahnung, was sie jetzt machen soll! Das ist ein Familiennotfall! Wenn Sie auch nur einen christlichen Knochen in Ihrem verfluchten Leib haben, helfen Sie mir, dieses gottverdammte Chaos in Ordnung zu bringen!»
    Withers, lieber Leser, sah in mir nur einen hysterischen Heiminsassen, der zu nachtschlafender Zeit anonyme Anrufe tätigte. Er

Weitere Kostenlose Bücher