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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Haus und musste alle halbe Stunde aufs Klo. (Die Organe der Venus sind weithin bekannt, doch das Organ des Saturns, Brüder, ist die Blase.) Verborgene Zweifel hefteten sich an meine Fersen. Warum gab Denholme meinen Entführern seine letzten kostbaren Kopeken, damit sie mich wie ein Kleinkind behandelten? Hatte Georgette in ihrer senilen Unbeherrschtheit meinem Bruder gegenüber etwas von unserem kurzen Schlenker abseits der Hauptstraße ehelicher Treue vor so vielen Jahren durchsickern lassen? War diese Falle die Rache des Gehörnten?
     
    Mutter pflegte zu sagen, die Rettung liegt immer im nächsten Buch. Na ja, Muttchen, nicht ganz, nein. Deine heiß geliebten Großdruck-Schmonzetten über Herzschmerz, Tellerwäscher und Millionäre konnten den Kummer nicht verbergen, mit dem die Ballmaschine Leben dich torpedierte, nicht wahr? Und dennoch, Mama, in gewisser Weise hast du Recht, ja. Bücher bieten keine wirkliche Rettung an, aber sie können den Geist davon abhalten, sich wund zu kratzen. Gott weiß, dass es in Haus Aurora außer Lesen nichts zu tun gab. Am Tag nach meiner wundersamen Genesung nahm ich Halbwertszeiten zur Hand, und Allmächtiger, auf einmal schien es mir, als hätte Hilary   V. Hush möglicherweise doch einen veröffentlichungstauglichen Thriller geschrieben. Im Geiste sah ich Luisa Reys ersten Fall in schickem schwarz-bronzenem Cover bei Tesco an der Kasse liegen, gefolgt von einem zweiten, dann vom dritten. Queen Gwen(dolin Bendincks) rückte gegen ein paar plumpe Schmeicheleien einen gespitzten 2B-Bleistift heraus (Missionare sind so weich in der Birne, dass man sie nur veralbern muss, um als potenzieller Konvertit zu gelten), und ich machte mich daran, den Text gründlich zu redigieren. Ein, zwei Dinge müssen definitiv raus: die Andeutung, dass Luisa Rey die Reinkarnation dieses Robert Frobisher sei, zum Beispiel. Elender Blumenkinder-LSD-Trip-New-Age-Quark. (Auch ich habe ein Muttermal unter meiner linken Achselhöhle, aber keine meiner Geliebten verglich es je mit einem Kometen. Georgette taufte es den «Timbo-Haufen».) Alles in allem kam ich jedoch zu dem Schluss, dass es sich bei der Story über eine junge Journalistin im Kampf gegen Wirtschaftskorruption um viel versprechendes Material handelte. (Der Geist von Sir Felix greint: «Aber das hat es doch schon hundertmal gegeben!» – als hätte es zwischen Aristophanes und Andrew Android-Webber nicht alles schon hundert tausend mal gegeben! Als ginge es in der Kunst um das Was und nicht um das Wie !)
    Die Arbeit an Halbwertszeiten stieß auf ein reales Hindernis, als das verfluchte Manuskript nach der Stelle, wo Luisa Reys Wagen von der Brücke gedrängt wird, abrupt abbrach. Ich raufte mir die Haare und schlug mir auf die Brust. Gab es überhaupt einen zweiten Teil? Lag er in einem Schuhkarton in Hilary   V.s Manhattaner Wohnung? Oder schlummerte er noch in ihrem kreativen Uterus? Zum zwanzigsten Mal durchsuchte ich die geheimen Winkel meiner Aktentasche nach dem Begleitschreiben, aber ich hatte es in meinem Büro am Haymarket liegen lassen.
    Ansonsten sah es mit Literatur dürftig aus. Warlock-Williams erzählte mir, Haus Aurora habe sich früher einer kleinen Bibliothek gerühmt, die jetzt irgendwo eingelagert sei. («Für die normalen Leute ist die Flimmerkiste viel, viel echter, das muss man einfach sagen.») Ich brauchte einen Bergarbeiterhelm und eine verfluchte Spitzhacke, um besagte «Bibliothek» ausfindig zu machen. Sie befand sich am äußersten Ende eines Korridors, versteckt hinter einem Haufen Gedenktafeln an den Ersten Weltkrieg mit der Überschrift Lasst uns niemals vergessen . Der Staub war trocken und gleichmäßig dick verteilt. Ein Regal mit alten Ausgaben einer Zeitschrift namens This England , ein Dutzend Zane-Grey-Western (in Großdruck), ein Kochbuch mit dem Titel Ohne Fleisch bitte! . Blieben also Im Westen nichts Neues (in dessen Ecken ein einfallsreicher Schüler vor langer Zeit ein Strichmännchen gezeichnet hatte, das mit seiner Nase onaniert – was wohl aus ihm geworden ist?) und Jaguare der Lüfte , eine Geschichte über Hubschrauberpiloten von «Amerikas führendem Militärthrillerautor» (die jedoch, wie ich zufällig weiß, aus der Feder eines Ghostwriters in seiner «Befehlszentrale» stammt – aus Furcht vor juristischen Vergeltungsmaßnahmen nenne ich keine Namen); den Rest konnte man ehrlich gesagt in der Pfeife rauchen.
    Ich nahm alles mit. Für den Hungernden sind selbst Kartoffelschalen

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