Der Wolkenatlas (German Edition)
Spiel zu setzen, indem ich mich schmollend zurückzog! Die beleidigte Leberwurst ist von jeher eine meiner Paraderollen, was so manches erklärt. Beleidigte Leberwürste berauschen sich an einsamen Phantasien. Phantasien vom Chelsea Hotel am Washington Square, wo ich an eine ganz bestimmte Tür klopfe. Die Tür geht auf, und vor mir steht im offenen Negligé Miss Hilary V. Hush, unschuldig wie Kylie Minogue, lüstern wie Mrs. Robinson und höchst erfreut, mich zu sehen. «Ich bin einmal um die ganze Welt geflogen, um Sie zu finden», sage ich. Sie schenkt mir einen Whisky aus der Minibar ein. «Alt. Mild. Malzig.» Dann zerrt mich das sündige Rasseweib in ihr ungemachtes Bett, wo ich nach dem Quell ewiger Jugend forsche.
Auf einem Bord über dem Bett liegt Halbwertszeiten, II. Teil . Ich lese es, getragen vom postorgastischen Toten Meer, während Hilary unter der Dusche steht. Die zweite Hälfte ist sogar noch besser als die erste, doch der Meister wird seine Schülerin lehren, wie man es erstklassig macht. Hilary widmet den Roman mir, kriegt den Pulitzer-Preis und offenbart in ihrer Rede, dass sie alles ihrem Agenten, Freund und in vielerlei Hinsicht Vater zu verdanken habe.
Süße Phantasie. Krebs für die Genesung.
Heiligabend in Haus Aurora war eine laue Angelegenheit. Ich spazierte hinaus zum Tor (ein Privileg, das ich auf Empfehlung von Gwendolin Bendincks erhalten hatte), um einen Blick auf die Welt draußen zu werfen. Ich klammerte mich an die eisernen Gitterstäbe und spähte hindurch. (Visuelle Ironie, Lars. Casablanca .) Mein Blick schweifte über das Moor, verweilte auf einem Grabhügel, einem verlassenen Schafstall, landete bei einer normannischen Kirche, die endlich ihren druidischen Grundfesten wich, flog weiter zu einem Kraftwerk, glitt über das tintenschwarze dänische Meer bis zur Humberbrücke, verfolgte ein Kampfflugzeug über zerfurchten Feldern. Armes England. Zu viel Geschichte auf zu wenig Fläche. Die Jahre wachsen hier nach innen wie meine Zehennägel. Die Überwachungskamera beobachtete mich. Sie hatte alle Zeit der Welt. Ich erwog, meinen Zwist mit Ernie Blacksmith beizulegen, wenn auch nur für ein gepflegtes «Schöne Weihnachten» aus dem Munde Veronicas.
Nein. Zur Hölle mit den beiden.
«Reverend Rooney!» In der einen Hand hielt er ein Glas Sherry, die andere belegte ich mit einem Obsttörtchen. Die kleinen bunten Lichter hinter dem Weihnachtsbaum verliehen unseren Gesichtern einen rosigen Teint. «Ich würde Sie gern um einen winzig kleinen Gefallen bitten.»
«Was könnte das wohl sein, Mr. Cavendish?» Kein komischer Geistlicher, dieser Herr. Reverend Rooney war Karrierekleriker, ein Double des walisischen Rahmenmachers und Steuerhinterziehers, mit dem ich einst in Hereford die Klinge kreuzte, aber das ist eine andere Geschichte.
«Ich möchte, dass Sie eine Weihnachtskarte für mich einwerfen, Reverend.»
«Sonst nichts? Schwester Noakes übernimmt das sicher gern, wenn Sie sie höflich darum bitten, meinen Sie nicht?»
Also hatte die alte Hexe auch ihn auf ihre Seite gezogen.
«Schwester Noakes und ich sind nicht immer einer Meinung, was den Kontakt zur Außenwelt betrifft.»
«Das Weihnachtsfest ist eine wunderbare Zeit, um Brücken zwischen den Menschen zu bauen.»
«Das Weihnachtsfest ist eine wunderbare Zeit, um dösende Hunde dösen zu lassen, Reverend. Aber ich möchte meiner Schwägerin unbedingt zeigen, dass ich am Geburtstag unseres Herrn an sie denke. Schwester Noakes hat den Tod meines geliebten Bruders vielleicht erwähnt?»
«Tragisch, tragisch.» Also wusste er über die Sache mit dem heiligen Petrus Bescheid. «Tut mir sehr leid.»
Ich zog die Karte aus der Jackentasche. «Sie ist an den ‹Betreuer› adressiert, damit meine Weihnachtsgrüße auch ganz bestimmt bei ihr ankommen. Leider ist sie», ich tippte mir an die Stirn, «nicht mehr ganz da . So, ich stecke sie in die Tasche ihrer Soutane …» Er wand sich, doch ich ließ ihm keine andere Wahl. «Ich bin so glücklich, dass ich Freunde habe, denen ich vertrauen kann. Danke, aus tiefstem Herzen danke .»
Einfach, effektiv, unauffällig, TC, du schlauer alter Fuchs. Wenn Haus Aurora am Neujahrsmorgen erwachte, würde ich auf und davon sein, wie Zorro.
Ursula lädt mich in ihren Kleiderschrank ein, und wir gehen nach Narnia. «Du bist um keinen Tag gealtert, Timbo, und dieser hinterhältige Geselle auch nicht!» Ihr pelziger Faun reibt sich an meinem Laternenpfahl und
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