Der Wolkenatlas (German Edition)
Horrox erschauerte bei der gespenstischen Vorstellung, die Abtrünnigen könnten auf ihrem Grabe Hula tanzen.
Nach dem Essen zogen wir uns in den Salon zurück, wo uns ein junger Eingeborener kalten Tee in gefälligen Kürbistassen servierte. Cpt. Molyneux frug: «Sir, wie financiert man eine so emsige Mission wie die Ihre?»
Prediger Horrox merkte, daß die Windrichtung drehte, u. unterzog den Capitain erneut einem prüfenden Blicke. «Pfeilwurzelmehl u. Cocosnußöl tragen die Kosten, Capitain. Die Schwarzen arbeiten auf unserer Plantage, um für die Schule, den Bibelunterricht u. die Kirche zu bezahlen. In einer Woche werden wir, so Gott will, eine reiche Ernte einbringen.»
Ich erkundigte mich, ob die Inder aus eigenem, freiem Willen arbeiteten.
«Aber selbstverständlich!» rief Mrs. Horrox aus. «Sie wissen, daß die Garde Christi sie bestraft, wenn sie sich der Faulheit hingeben.»
Ich hätte über diese zum Fleiße anspornenden Strafmaßnahmen gern mehr erfahren, doch Cpt. Molyneux riß die Unterhaltung wieder an sich. «Das Schiff Ihrer Missionsgesellschaft bringt die verderbliche Ware wohl um Cap Horn herum nach London?»
«Sie vermuthen ganz richtig, Capitain.»
«Haben Sie einmal bedacht, Prediger Horrox, wie ungleich gesicherter die weltliche Grundlage Ihrer Mission – u. darüber hinaus auch die geistliche – wäre, wenn Sie über einen verläßlichen Markt verfügten, der näher bei den Gesellschafts-Inseln liegt?»
Der Prediger wies den Dienstboten an, das Zimmer zu verlassen. «Ich habe diese Frage ausführlichst bedacht, aber wo? Die mexicanischen Märkte sind klein u. häufig Opfer von Banditen, in Kapstadt herrscht eine innige Alliance zwischen corrupten Steuereinnehmern u. gierigen Afrikaandern. Im Südchinesischen Meere wimmelt es von dreisten, unbarmherzigen Piraten. Die Holländer in Batavia sind die reinsten Blutegel. Nichts für ungut, Mr. Boerhaave.»
Der Capitain zeigte auf mich. «Mr. Ewing lebt in …», er hielt einen Augenblick inne, um seinen Vorschlag ins rechte Licht zu rücken, «… San Francisco, Californien. Sie werden vom Aufstieg dieses armseligen Nestes von siebenhundert Seelen zu einer Metropole mit einer Viertelmillion Einwohnern gehört haben. Kein Census kommt mit dem Zählen nach. Chinesen, Chilenen, Mexicaner, Europäer, Fremde aller Hautfarben strömen täglich in die Stadt. Ein Ei, Mr. Ewing, verraten Sie uns bitte, was wird gegenwärtig in San Francisco für ein Ei gezahlt?»
«Ein Dollar, schrieb mir meine Frau.»
«Ein Yankee-Dollar für ein gewöhnliches Ei.» (Cpt. Molyneux’ Lächeln ähnelt dem des mumificierten Crocodils, das ich dereinst in einem Kurzwarenhandel in Louisiana hängen sah.) «Muß das einem Manne mit Ihrem Scharfsinn nicht zu denken geben?»
Mrs. Horrox war nicht auf den Kopf gefallen. «Das ganze Gold wird bald ganz abgebaut sein.»
«So ist es, Madam, aber die hungrige, lärmende, reichgewordene Stadt San Francisco – für einen getrimmten Schoner wie meine Prophetess nur drei Wochen von hier entfernt – wird bleiben, u. ihre Zukunft ist glasklar. San Francisco wird das London, das Rotterdam u. das New York des Pacifischen Oceans werden.»
Unser capitán de la casa säuberte seine Zähne mit einer Thunfischgräte. «Was glauben Sie , Mr. Ewing, werden die Erzeugnisse von unseren Plantagen in Ihrer Stadt» – wie seltsam ist es doch, unseren Verwaltungsbezirk als Stadt bezeichnet zu hören! – «einen angemessenen Preis erzielen, sowohl zum gegenwärthigen Zeitpunkt als auch nach dem Goldrausch?»
Capitain Molyneux hatte meine Wahrheitsliebe auf abgefeimte Weise zu seinem Vortheil ausgespielt, aber ebensowenig, wie ich gelogen hätte, um ihm zu helfen, wollte ich lügen, um ihm eins auszuwischen: «Ja, das glaube ich!»
Giles Horrox legte seinen Priesterkragen ab. «Möchten Sie mich gern in mein Bureau begleiten, Jonathan? Das Dach ist mein großer Stolz. Ich habe es selbst entworfen, zum Schutze vor dem schrecklichen typhoo .»
«Tatsächlich, Giles?» erwiderte Capitain Molyneux. «Bitte, nach Ihnen.»
Obgleich der Name Doctor Henry Goose bis zu diesem Morgen in Nazareth gänzlich unbekannt war, erinnerten sich die Weiber von Bethlehem, kaum hatten sie erfahren, daß ein berühmter englischer Chirurg unter ihnen weilte, aller möglichen Arten von Leiden u. schlugen in Scharen den Weg zum Pfarrhause ein. (Höchst sonderbar, das schönere Geschlecht wieder um mich zu haben, nachdem ich so viele
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