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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Prediger Horrox stellte uns seine beiden Töchter u. drei Söhne vor, allesamt hier in Nazareth geboren. (Die Mädchen könnten einem Mädchenpensionate entsprungen sein, aber die Jungen sind unter ihren gesteiften Krägen braun gegerbt wie Kanaken.) So ungern ich mich vom Capitain in seine Maskerade einspannen lassen wollte, so neugierig war ich doch, mehr über die Priesterherrschaft auf dieser Insel zu erfahren, u. ließ mich daher vom Strom der Ereignisse davontragen. Schon bald begab sich unsere Gesellschaft zum Pfarrhause der Familie Horrox, ein Domicil, welches einem kleinen Consul der südlichen Hemisphäre nicht im mindesten zur Schande gereicht hätte. Es umfaßte unter anderem einen großen Salon mit Glasfenstern u. Möbeln aus Tulpenholz, ein stilles Örtchen, zwei Bedienstetenräume u. ein Speisezimmer, in welchem wir alsbald mit zartem Schweinefleische u. frischem Gemüse bedient wurden. Jedes Tischbein stand in einer Schale mit Wasser. Mrs.   Horrox erklärte: «Ameisen, einer der Flüche von Bethlehem. Die ertrunkenen müssen regelmäßig entfernt werden, damit die anderen sich nicht aus den Leichen einen Überweg bauen.»
    Ich sprach ihrer Heimstatt meine Complimente aus. «Prediger Horrox», erklärte uns die Hausfrau voller Stolz, «wurde in der Grafschaft Gloucester als Zimmermann ausgebildet. Einen Großtheil von Nazareth hat er mit seinen eigenen Händen erbaut. Wissen Sie, der Heide läßt sich gern von materiellem Glanze beeindrucken. Er denkt: ‹Wie blitzsauber sind doch die Häuser der Christen! u. wie schmutzig unsere armseligen Hütten! Wie freigebig ist doch der weiße Gott! u. wie knauserig der unsere!› Auf diese Weise ist schon mancher zum Herrn bekehrt worden.»
    «Wenn ich mein Leben noch einmal aufs neue leben könnte», meinte Mr.   Boerhaave, ohne im geringsten zu erröten, «würde ich den selbstlosen Pfad eines Missionars erkiesen. Prediger, wir sehen hier eine festbegründete Mission mit tiefen Wurzeln; doch wie beginnt man das Werk der Bekehrung an einem dunklen Ufer, das noch nie vom Fuße eines Christenmenschen betreten wurde?»
    Prediger Horrox blickte versonnen durch den Fragesteller hindurch auf eine künftige Lehranstalt. «Mit Beharrlichkeit, Sir, Mitgefühl u. dem Gesetz. Vor fünfzehn Jahren wurden wir in dieser Bucht nicht so herzlich empfangen wie Sie heute, Sir. Sehen Sie die amboßförmige Insel dort drüben im Westen? Die Schwarzen nennen sie Borabora, aber ‹Sparta› wäre ein passenderer Name, so kampfeswüthig waren ihre Krieger! Wir kämpften am Strande von Bethlehem Cove, u. einige der Unsrigen fielen. Hätten wir die Gefechte der ersten Woche nicht dank unserer Pistolen gewonnen, nun, dann wäre es beim Traume von einer Mission auf Raiatea geblieben. Aber es war der Wille des Herrn, daß wir hier sein Leuchtfeuer entzünden u. nie verlöschen lassen. Nach einem halben Jahr konnten wir unsere Weiber aus Tahiti herüberholen. Ich bedauere die Toten unter den Eingeborenen, aber sobald die Inder sahen, wie Gott seine Herde beschützt, baten uns selbst die Spartaner, ihnen Prediger zu senden.»
    Mrs.   Horrox führte die Erzählung fort. «Als die Pocken ihr tödliches Werk begannen, brauchten die Polynesier Beistand, sowohl geistlichen wie auch materiellen. Unser Mitgefühl führte die Heiden an das Taufbecken. Nun ist es Sache des heiligen Gesetzes, unsere Herde vor der Versuchung zu bewahren – u. vor plündernden Seeleuten. Besonders die Walfänger verachten uns, weil wir die Weiber Keuschheit u. Anstand lehren. Die Gewehre unserer Männer müssen stets gut geölt sein.»
    «Ich möchte wetten», bemerkte der Capitain, «daß diese Schwätzer, wenn sie Schiffbruch erleiden, die Vorsehung anflehen, sie mögen an einen Strand gespült werden, dem ebenjene ‹verwünschten Missionare› das Evangelium gebracht haben, meinen Sie nicht?»
    Dem wurde mit einstimmiger Empörung beigepflichtet.
    Auf meine Frage hin, wie sich denn an diesem einsamen Vorposten der Civilisation Gesetz u. Ordnung durchsetzen ließen, erwiderte Mrs.   Horrox: «Unser Kirchenrath – mein Gatte u. drei angesehene Älteste – erläßt in Zwiesprache mit dem Herrn die Gesetze, die wir für nöthig befinden. Unsere Garde Christi, Eingeborene, die sich als treue Diener unserer Kirche ausweisen, sorgt gegen einen Credit im Warenhause meines Gatten dafür, daß die Gesetze eingehalten werden. Natürlich ist Wachsamkeit unerläßlich, anderenfalls wird nächste Woche …» Mrs.  

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