Der Wolkenatlas (German Edition)
das häßliche Wort auf. «Schnüfflerin nennen Sie mich? Une moucharde? Ce n’est pas un mot aimable, Mr. Frobisher. Si vous dites que je suis une moucharde, vous allez nuire à ma réputation. Et si vous nuisez à ma réputation, eh bien, il faudra que je ruine la vôtre!»
Eröffnete nachträglich das Feuer. Ihr Ruf sei genau der Grund, weshalb ich sie warnen müsse. Wenn sogar ein Ausländer auf Besuch in Brügge gesehen habe, wie sie während der Unterrichtszeit mit einer skrofulösen Kröte im Minnewater Park flaniere, sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Klatschbasen der Stadt den Namen Crommelynck-Ayrs in den Schmutz zögen!
Ich rechnete mit einer Ohrfeige, aber sie errötete und schlug die Augen nieder. Demütig fragte sie: «Avez-vous dit à ma mère ce que vous avez vu?» Nein, antwortete ich, ich hätte bislang niemandem davon erzählt. Eva feuerte zielsicher ihren Schuß ab: «Wie dumm von Ihnen, Monsieur Frobisher, denn Mama hätte Ihnen gesagt, daß mein mysteriöser ‹Begleiter› Monsieur van de Velde war, der Herr, bei dessen Familie ich unter der Woche wohne. Sein Vater besitzt die größte Munitionsfabrik Belgiens, und er ist ein angesehener Familienvater. Am Mittwoch hatten wir den Nachmittag frei, und Monsieur van de Velde war so freundlich, mich von seinem Büro aus nach Hause zu begleiten. Seine Töchter waren auf einer Chorprobe. Die Schulleitung sieht es nicht gern, wenn wir Mädchen allein hinausgehen, nicht einmal bei Tageslicht. Im Park hausen Schnüffler, müssen Sie wissen, Schnüffler mit einer schmutzigen Phantasie, die nur darauf warten, den Ruf eines Mädchens zu beschädigen, oder sogar eine Gelegenheit suchen, es zu erpressen.»
Täuschungsmanöver oder Fehlzündung? Ich ging auf Nummer Sicher. « Erpressen? Ich habe selbst drei Schwestern und war um Ihren guten Ruf besorgt! Weiter nichts.»
Sie genoß ihre Überlegenheit. «Ah oui? Comme c’est délicat de votre part! Sagen Sie, Mr. Frobisher, was, glaubten Sie, hatte Monsieur van de Velde mit mir vor? Waren Sie sehr eifersüchtig?»
Ihre – für ein Mädchen – erschreckende Offenheit fegte fast die Hölzchen von meinem Wicket. «Ich bin erleichtert, daß dieses einfache Mißverständnis aufgeklärt wurde», ich schenkte ihr mein unaufrichtigstes Lächeln, «und bitte aufrichtig um Entschuldigung.»
«Ich nehme Ihre Entschuldigung mit derselben Aufrichtigkeit an, mit der sie vorgebracht wurde.» Sie ging zu den Ställen; ihre Gerte wischte durch die Luft wie der Schwanz einer Löwin. Verzog mich ins Musikzimmer, um meine klägliche Vorstellung bei einem teuflischen Liszt zu vergessen. Gewöhnlich rattere ich La Prédication aux Oiseaux mit Bravour herunter, nicht aber letzten Freitag. Gott sei Dank fährt E. morgen in die Schweiz. Falls sie jemals etwas von den nächtlichen Besuchen ihrer Mutter erfährt – ach, mag gar nicht daran denken. Wie kommt es nur, daß ich jeden Jungen, dem ich begegne, um den kleinen Finger wickeln kann (nicht nur um den), den Frauen auf Zedelghem aber ständig unterliege?
Dein
R. F.
◆ ◆ ◆
Zedelghem
29-VIII-1931
Sixsmith,
sitze im Morgenrock an meinem Sekretär. Die Kirchenglocke schlägt fünf. Ein neuer begieriger Morgen. Meine Kerze ist heruntergebrannt. Anstrengende Nacht, alles ging drunter und drüber. J. kam um Mitternacht in mein Bett, und mitten in der Akrobatik rumste es plötzlich an der Tür. Burleskes Entsetzen! Gott sei Dank hatte J. hinter sich abgeschlossen. Der Türknauf klapperte, hartnäckiges Klopfen setzte ein. Angst kann den Geist ebenso klären wie ihn benebeln, und in Erinnerung an meinen Don Juan versteckte ich J. unter einem Berg aus Tagesdecken und zog, um zu demonstrieren, daß ich nichts zu verbergen hatte, ½ den Vorhang auf. Fassungslos, daß ausgerechnet mir so etwas passierte, tastete ich mich durchs Zimmer, stieß, um Zeit zu schinden, absichtlich gegen verschiedene Möbelstücke, und rief, als ich die Tür erreichte: «Was ist denn los? Brennt es?»
«Machen Sie auf, Robert!» Ayrs! Wie Du Dir sicher vorstellen kannst, duckte ich mich im Geiste schon vor den Kugeln. Vor Verzweiflung fragte ich ihn, wie spät es sei, nur, um noch etwas Zeit zu gewinnen.
«Wen interessiert das? Ich weiß es nicht! Ich habe eine Melodie, mein Junge, für Violine, sie ist ein Geschenk und raubt mir den Schlaf, Sie müssen sie sofort aufschreiben!»
Sollte ich ihm trauen? «Hat das nicht bis morgen früh Zeit?»
«Nein, verdammt, das hat es
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