Der Wolkenatlas (German Edition)
Päckchen köstlicher französischer Zigaretten. Janschs Geld ist kein Drachenhort, aber es fühlt sich weiß Gott so an. Kam zu einer kleinen Kirche (mied die Touristenorte, um verärgerte Buchhändler zu meiden) mit vielen Kerzen, Schatten, traurigen Märtyrern, Weihrauch. Bin nicht mehr in der Kirche gewesen seit dem Morgen, als Pater mich verstieß. Tür zur Straße ging auf und zu. Sehnige alte Weiber kamen herein, zündeten Kerzen an, gingen wieder. Vorhängeschloß am Opferstock von bester Qualität. Leute knieten zum Gebet nieder, einige bewegten die Lippen. Beneide sie, ehrlich. Gott beneide ich auch, weil er ihre Geheimnisse kennt. Der Glaube ist der unexklusivste Club der Welt und hat den listigsten Portier. Jedesmal, wenn ich durch seine weit geöffneten Türen trete, finde ich mich draußen auf der Straße wieder. Tat mein Bestes, mich seligen Gedanken hinzugeben, aber mein Geist fuhr mit den Fingern über Jocasta. Sogar die Heiligen und Märtyrer in den bunten Fenstern wirkten leicht erregend. Glaube kaum, daß mich solche Gedanken dem Himmel näher bringen. Schließlich war es eine Bach-Motette, die mich verscheuchte – die Chorknaben waren entsetzlich schlecht, aber für den Organisten wäre die einzige Hoffnung auf Erlösung eine Kugel durchs Hirn. Genau das sagte ich ihm auch – beim Plaudern sind Takt und Zurückhaltung schön und gut, aber wenn es um Musik geht, darf man nicht um den heißen Brei herumreden.
In einer tadellos gepflegten Grünanlage namens Minnewater Park schlenderten Liebespaare Arm in Arm vorbei an Weiden, Banksrosen und Anstandswauwaus. Ein blinder, ausgezehrter Geiger spielte für Kleingeld. Und er konnte spielen. Verlangte «Bonsoir, Paris!», und er fiedelte mit einer Verve, daß ich ihm eine nagelneue 5-Franc-Note in die Hand drückte. Er nahm die dunkle Brille ab, prüfte das Wasserzeichen, rief seinen Lieblingsheiligen an, raffte die Münzen zusammen und türmte mit verwegenem Lachen durch die Blumenbeete. Derjenige, der gesagt hat: «Geld allein macht nicht glücklich», war eindeutig viel zu reich.
Setzte mich auf eine gußeiserne Bank. Die Glocken schlugen eins, nahebei, in der Ferne, überall. Angestellte krochen aus den Kanzleien und Kontoren, um im Park ihre Brote zu essen und die frische Luft zu atmen. Überlegte gerade, ob ich Hendrick warten lassen sollte, als, dreimal darfst Du raten, wer unbeaufsichtigt, aber in Begleitung einer geckenhaften, doppelt so alten Gespenstheuschrecke mit einem geschmacklosen goldenen Ehering am Finger den Park betrat? Richtig. Eva. Versteckte mich hinter einer Zeitung, die ein Angestellter auf der Bank zurückgelassen hatte. Eva und ihr Begleiter berührten sich nicht, aber sie schlenderten mit einer ungezwungenen Vertrautheit an mir vorbei, die sie auf Zedelghem nie an den Tag legt. Ich zog die naheliegenden Schlüsse.
Eva setzte ihre Jetons auf eine fragwürdige Karte. Er blies sich mächtig auf, damit fremde Leute ihn hörten und von ihm beeindruckt waren. «Ein Mensch ist auf der Höhe der Zeit, Eva, wenn er und seinesgleichen dieselben Dinge als gegeben ansehen, ohne daß sie darüber nachdenken. Desgleichen ist ein Mensch am Ende, wenn die Zeiten sich ändern, er sich jedoch nicht. Gestatten Sie mir hinzuzufügen, daß alle Weltreiche aus dem gleichen Grund untergehen.» Dieser fadenscheinige Philosoph verwirrte mich. Ein Mädchen von E.s Aussehen konnte doch bestimmt etwas Besseres finden, oder? Evas Verhalten verwirrte mich ebenso. In ihrer eigenen Stadt, am hellichten Tage! Wollte sie sich absichtlich ins Unglück stürzen? War sie eine libertäre Suffragette à la Christina Rossetti? Ich folgte dem Paar in sicherem Abstand zu einem Stadthaus in einem betuchten Viertel. Der Mann blickte sich verstohlen um, ehe er den Schlüssel ins Schloß steckte. Ich trat rasch in eine Seitenstraße.
Stell Dir vor, wie Frobisher sich vor Freude die Hände rieb!
Eva kam wie üblich am späten Freitagnachmittag zurück. In der Vorhalle, die zwischen ihrem Zimmer und dem Eingang zu den Stallungen liegt, steht ein Eichenthron. Dort pflanzte ich mich hin. Leider verlor ich mich im intensiven Farbenspiel der alten Glasfenster und bemerkte nicht, als Eva, mit einer Reitgerte in der Hand und nicht im mindesten auf einen Hinterhalt gefaßt, die Halle betrat. «S’agit-il d’un guet-apens? Si vous voulez discuter avec moi d’un problème personnel, vous pourriez me prévenir?»
Vor Überraschung entfuhr mir laut, was ich dachte. Eva griff
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