Der Wolkenatlas (German Edition)
erkundigte, ob Ayrs ein, zwei Stunden für ihn übrig hätte. Ayrs spielte den Brummbären, aber an der Art, wie er Mrs. Willems wegen der Teevorbereitungen triezte, merkte ich, daß er sich freute wie ein Stint. Unser berühmter Gast erschien um ½ drei, trotz des milden Wetters eingehüllt in ein dunkelgrünes Inverness-Cape. Sein Gesundheitszustand ist nicht viel besser als Ayrs’. J. u. ich empfingen ihn draußen auf der Treppe. « Sie sind also Vyvs neues Augenpaar!» sagte er, als wir uns die Hand gaben. Erzählte ihm, ich hätte ihn beim Festival schon ein dutzendmal am Pult gesehen, worüber er sich freute. Führte den Komponisten in das scharlachrote Zimmer, wo Ayrs wartete. Sie begrüßten einander herzlich, aber so vorsichtig, als müßten sie sich vor blauen Flecken hüten. Elgar wird von heftigen Ischiasschmerzen geplagt, V. A. sieht selbst an guten Tagen zum Fürchten aus und bei genauem Hinsehen noch schlimmer. Der Tee wurde serviert, und sie begannen zu fachsimpeln, ohne J. u. mir viel Beachtung zu schenken, doch es war faszinierend, Mäuschen zu spielen. Ab und zu überzeugte sich Sir E. mit einem raschen Blick zu uns, daß er seinen Gastgeber nicht überanstrengte. «Aber nein», beruhigten wir ihn lächelnd. Sie disputierten über Themen wie den Einsatz von Saxophonen im Orchester, Patronage und Politik in der Musik oder ob Webern ein Scharlatan oder der Messias sei. Sir E. gab bekannt, er arbeite nach langem Winterschlaf an seiner 3. Sinfonie – er spielte uns sogar am Klavier Auszüge aus einem Molto maestoso und einem Allegretto vor. Ayrs wollte unbedingt beweisen, daß auch er noch nicht bereit für den Sarg ist, und bat mich, einige kürzlich vollendete Impressionen für Klavier zu spielen – ganz nett. Ein paar Flaschen Trappistenbier später fragte ich Elgar nach den Pomp & Circumstance -Märschen. «Ach, ich brauchte das Geld, mein lieber Junge. Aber sagen Sie es nicht weiter. Sonst fordert der König noch meinen Titel zurück.» Ayrs brach in krampfartiges Gelächter aus! «Ich sage immer, Ted, wer das Volk dazu bringen will, Hosianna zu schreien, muß auf einem Esel in die Stadt reiten. Rückwärts am besten, und dem Pöbel dabei die haarsträubenden Geschichten erzählen, die er hören will.»
Sir E. hatte von der Aufnahme des Todtenvogels in Krakau gehört (ganz London hat das, wie es scheint), und V. A. schickte mich nach der Partitur. Als ich ins scharlachrote Zimmer zurückkam, nahm der Gast unseren Vogel des Todes mit zur Fensterbank und las die Partitur mit Hilfe eines Monokels, während Ayrs und ich vorgaben, uns selbst zu beschäftigen. «Männer in unserem Alter, Ayrs», sagte E. schließlich, «haben kein Recht auf derart kühne Einfälle. Wo bekommst du sie her?»
V. A. blies sich auf wie ein selbstgefälliger Ochsenfrosch. «Ich habe wohl in meinem Feldzug gegen die Altersschwäche das ein oder andere Nachhutgefecht gewonnen. Mein junger Freund Robert erweist sich als wertvoller Adjutant.»
Adjutant? Verdammt, ich bin sein General; er ist bloß der dicke, alte Türke, der mit den Erinnerungen verblaßten Ruhmes regiert! Lächelte möglichst freundlich (als hinge das Dach über meinem Kopf davon ab. Zudem könnte Sir E. mir eines Tages nützlich sein, so daß es unklug wäre, einen aufmüpfigen Eindruck zu erwecken.). Beim Tee verglich Elgar meine Position auf Zedelghem positiv mit seiner 1. Anstellung als Kapellmeister in einer Irrenanstalt in Worcestershire. «Erstklassige Vorbereitung auf die Leitung der Londoner Philharmoniker, was?» witzelte V. A. Wir lachten, und ich sah dem alten Spinner ein wenig nach, daß er so selbstsüchtig und reizbar ist. Legte noch ein, zwei Scheite in den Kamin. Die beiden alten Männer nickten im rauchigen Schein des Feuers ein wie zwei Könige, die seit Äonen in ihren Hügelgräbern schlummern. Schrieb ihre Schnarchgeräusche in Noten auf. Elgar wird von einer Baßtuba gespielt, Ayrs von einem Fagott. Werde das gleiche mit Fred Delius und John Mackerass machen und das Werk unter dem Titel Das kleine Museum der ausgestopften Edwardianer herausbringen.
Drei Tage später
Eben zurück von einem lento Spaziergang mit V. A. über den Mönchsweg zum Pförtnerhaus. Schob seinen Stuhl. Landschaft überaus atmosphärisch heute abend; Herbstblätter fegten in Spiralen durch die Luft, als wäre V. A. der Zauberer und ich sein Lehrling. Die langen Schatten der Pappeln überzogen die gemähte Weide mit dicken
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