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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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zu Hause ist, was ich sehr vernünftig finde. Man soll seine Geburtstagsschokolade ohnehin nicht auf einmal hinunterschlingen.) Mein Unbehagen rührt daher, daß Hendrick vermutlich Bescheid weiß. Ach, wir hier oben gratulieren uns gern zu unserer Gerissenheit, aber denen, die unsere Betten abziehen, bleibt kein Geheimnis verborgen. Nicht allzu besorgt. Verstimme das Personal nicht mit übertriebenen Wünschen, und Hendrick ist schlau genug, lieber auf eine resolute Herrin in der Blüte ihrer Jahre zu setzen als auf einen invaliden Herrn mit Ayrs’ Aussichten. Hendrick ist wirklich ein sonderbarer Kauz. Schwer zu sagen, was seine Vorlieben sind. Gäbe einen ausgezeichneten Croupier ab.
    Er setzte mich vor dem Rathaus ab, band das Fahrrad los und sagte, er wolle einer kränkelnden Großtante seine Aufwartung machen, während ich meine Gänge erledigte. Schlängelte mich mit dem Drahtesel zwischen Scharen von Touristen, Schulkindern und Bürgern hindurch und verfuhr mich nur wenige Male. Auf der Polizeiwache machte der musikalische Inspektor mächtig Wirbel um mich und ließ Kaffee und Gebäck bringen. Er war entzückt, daß es mit der Stellung bei Ayrs so prächtig geklappt hatte. Als ich die Wache verließ, war es zehn Uhr, Zeit für meine Verabredung. Beeilte mich nicht. Gehört sich, Händler eine Weile warten zu lassen.
    Jansch lehnte an der Bar des Le Royal und begrüßte mich mit: «Ha, bei meinem Leben, der unsichtbare Mann, von allen heiß zurückersehnt!» Ich schwöre Dir, Sixsmith, dieser warzige alte Shylock wird mit jedem Mal, da ich ihn zu Gesicht kriege, abstoßender. Hält er auf dem Dachboden ein magisches Porträt von sich versteckt, das von Jahr zu Jahr schöner wird? Kam nicht dahinter, warum er so erfreut schien, mich zu sehen. Blickte mich in der Lounge nach benachrichtigten Gläubigern um – ein stechender Blick, und ich hätte Reißaus genommen. Jansch las meine Gedanken. «So mißtrauisch, Roberto? Glaubst du etwa, ich verärgere eine ungezogene Gans, die so illuminierte Eier legt? Na, komm», er zeigte auf die Bar, «laß uns anstoßen.»
    Erwiderte, ich fände es anstößig genug, mich im selben Gebäude aufzuhalten wie er, selbst in einem so großen, und würde es daher vorziehen, gleich zum Geschäftlichen überzugehen. Er gluckste, klopfte mir auf die Schulter und nahm mich mit auf das Zimmer, das er für die Übergabe reserviert hatte. Niemand folgte uns, aber das hatte nichts zu bedeuten. Wünschte mir, ich hätte dich beauftragt, einen belebteren Treffpunkt auszusuchen, wo Tam Brewers Schläger mir keinen Sack über den Kopf stülpen konnten, um mich dann in eine Kiste zu werfen und zurück nach London zu verfrachten. Holte die Bücher aus dem Ranzen, und Jansch zog sein Pincenez aus der Brusttasche, um sie an einem Tisch beim Fenster zu begutachten. Er versuchte den Preis zu drücken, indem er behauptete, ihr Zustand sei eher «mittelprächtig» als «gut». Wickelte die Bücher seelenruhig wieder ein, verstaute sie im Ranzen, eilte hinaus auf den Flur und zwang den knauserigen Juden, mir so lange hinterherzulaufen, bis er seine Meinung revidiert hatte. Ließ mich mit schmeichelnden Worten zurück in sein Zimmer locken, wo wir Schein für Schein abzählten, bis die vereinbarte Summe bezahlt war. Er seufzte, behauptete, ich hätte ihn an den Bettelstab gebracht, und legte mir grinsend seine haarige Pranke aufs Knie. Erklärte ihm, ich würde ausschließlich Bücher verkaufen. Warum sich von Geschäften am Vergnügen hindern lassen, erwiderte er. Ein junger Bock in der Fremde finde doch sicher Verwendung für ein bißchen Taschengeld?
    Verließ den schlafenden Jansch eine Stunde später, mit dem Inhalt seiner Brieftasche. Ging über den Platz schnurstracks zur Bank, wo sich der Sekretär des Direktors meiner annahm. Süßer Vogel Solvenz. Wie Pater gerne sagt: «Der eigene Schweiß ist der beste Lohn!» (Nicht daß er auf seiner ruhigen Kanzel jemals übermäßig geschwitzt hätte.) Nächste Station war Flagstad, die örtliche Musikalienhandlung, wo ich ein Paket Notenpapier kaufte, um für wachsame Augen den fehlenden Stapel in meinem Ranzen zu ersetzen. Als ich das Geschäft verließ, entdeckte ich im Fenster eines Schuhmachers ein Paar sandfarbene Gamaschen. Ging hinein, kaufte sie. Sah bei einem Tabakhändler ein Zigarettenetui aus Chagrin. Kaufte es.
    Hatte noch zwei Stunden totzuschlagen. Trank in einem Café ein kühles Bier, dann noch eins und noch eins und rauchte ein ganzes

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