Der Wolkenatlas (German Edition)
unauffälliger erschienen – mein malkontenter Autor trug einen bananengelben Anzug mit schokoladenbraunem Hemd und johannisbeerfarbener Krawatte. Ich muss dem gespannten Leser wohl kaum ins Gedächtnis rufen, dass Faustfutter die Buchwelt erst noch im Sturm erobern musste. Genauer gesagt, es lag noch nicht einmal in den Buchhandlungen aus, außer beim weisen John Sandoe in Chelsea und in den glücklosen, einst von Juden, dann von Sikhs und heute von Eritreern geführten Zeitungsläden in der East-Ender-Gemeinde der Gebrüder Hoggins. Tatsächlich waren es Werbe- und Vertriebsfragen, die Dermot auf dem Dachgarten mit mir zu erörtern wünschte.
Ich erklärte ihm zum hundersten Mal, weshalb ein Autorenverlag wie Cavendish Publishing unmöglich Geld für schicke Prospekte und den Teamgeist stärkende Gokart-Wochenenden für Vertreter verschleudern könne. Zum hundertsten Mal wiederholte ich, dass meine Autoren ihre Erfüllung darin fänden, ihre hübsch gebundenen Bücher an Freunde, Familienangehörige und die Nachwelt zu verschenken. Zum hundertsten Mal wiederholte ich, dass der Markt für Gangster-Schick gesättigt und sogar Moby Dick zu Melvilles Lebzeiten ein Flop gewesen sei, wenn auch ohne explizite Verwendung dieses Substantivs. «Es ist wirklich ein fabelhaftes Buch», versicherte ich ihm. «Geben Sie ihm Zeit.»
Trübsinnig, taub und trunken blickte Dermot über das Geländer. «So viele Schornsteine. Wie tief das hier runtergeht.»
Der drohende Unterton in seinen Worten war, so hoffte ich, nur Einbildung. «Ziemlich.»
«Als ich noch ein kleiner Bengel war, nahm meine Mum mich mit zu Mary Poppins . Tanzende Schornsteinfeger auf dem Dach. Sie hat ihn auch auf Video geguckt. Immer wieder. Im Altersheim.»
«Ich weiß noch, als er in die Kinos kam. So alt bin ich.»
«He.» Dermot zog die Stirn in Falten und zeigte durch die Terrassentür zur Bar. «Wer ist das?»
«Wer ist wer?»
«Der da mit der Fliege, der das Diadem im Müllsack anschleimt.»
«Der Moderator, Felix … ach, Felix Dingsbums.»
«Felix Finch! Der Wi****r, der in seinem affigen Drecksblatt auf mein Buch gesch****n hat?»
«Es war sicher nicht die beste Rezension, aber …»
«Es war meine einzige Sch***-Rezension!»
«Im Grunde war sie gar nicht so übel …»
«Ach nein? ‹Keintagsfliegen wie Mr. Hoggins sind die Totgeburten der modernen Literatur.› Schon gemerkt, dass solche Typen ein ‹Mr.›einschieben, bevor sie zustechen? ‹Mr. Hoggins müsste sich bei den Bäumen entschuldigen, die für sein aufgeblähtes ‚Autobio-Machwerk‘ gefällt wurden. Vierhundert Seiten großspuriges Geschwafel verpuffen in einem an platter Belanglosigkeit kaum zu überbietenden Ende.› »
«Ruhig Blut, Dermot, im Grunde liest kein Mensch die Trafalgar .»
«’tschuldigung!» Mein Autor schnappte sich einen Kellner. «Schon mal von der Trafalgar Review of Books gehört?»
«Selbstverständlich», antwortete der osteuropäische Kellner. «Mein ganzer Fachbereich schwört auf die TRB , sie hat die schlausten Kritiker.»
Dermot schleuderte sein Glas über die Brüstung.
«Na, kommen Sie, was ist schon ein Kritiker?», argumentierte ich. «Jemand, der schnell und überheblich liest, aber niemals klug …»
Das Jazz-Sextett beendete seine Nummer, und Dermot ließ meinen Satz in der Luft hängen. Ich war ausreichend betrunken, um mir guten Gewissens ein Taxi zu gönnen, und wollte gerade aufbrechen, als eine Cockney-Stimme in Ausrufermanier die ganze Versammlung zum Schweigen brachte: «Sehr verehrte Damen und Herren von der Jury! Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten!»
Herr im Himmel, Dermot schlug zwei Tabletts zusammen! «Liebe Büchermessies, wir haben heute Abend einen weiteren Preis zu vergeben!», röhrte er. Ohne auf das verschmitzte Kichern und die überraschten Ausrufe der Anwesenden einzugehen, zog er einen Umschlag aus der Jackentasche, riss ihn auf und tat, als würde er vorlesen: «Der Preis für den bedeutendsten Literaturkritiker.» Das Publikum glotzte, motzte, brüllte «Buh!» oder wandte sich peinlich berührt ab. «Die Konkurrenz war hart, aber die Geschworenen haben sich einstimmig für Seine Kaiserliche Majestät von der Trafalgar Review of Books entschieden, Mr. – paddong, Sir – Felix Finch, her – mit – Ihnen – Mann!»
Die Scharfmacher jubelten. «Braaavo, Felix! Bravooo!» Finch wäre nicht Kritiker gewesen, hätte ihm die unverdiente Aufmerksamkeit nicht geschmeichelt. Zweifelsohne
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