Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
die Kräne warten könnt, tippt mir einfach kurz auf die Schulter«, fuhr er fort. »Ich hätte da noch ’n paar Aggressionen abzuarbeiten.«
»Was du nicht sagst«, murmelte Beth. Sie zitterte vor Angst, während sie das Mädchen an seiner Hand baumeln sah.
Eine volle wortlose Minute lang hielt er die Natriumitin über den Fluss, dann warf er sie als bibbernden, trüb flackernden Haufen auf die Straße. Er griff nach seiner Eisenstange und schritt über die Brücke, eine mächtige Silhouette, die den Weg Richtung Norden vorgab.
Beth schulterte ihren Rucksack und rannte ihm nach. Die kleine Armee, wie betäubt durch den Gewaltausbruch, setzte sich langsam und stumm in Bewegung. Beth bemerkte hinter sich ein paar aufsässige Blitze, doch ehe sie noch reagieren konnte, hatte Victor den jungen Weißhell auf die Beine gezerrt, mit der Taschenlampe in sein Gesicht geblitzt, ihm eine Ohrfeige verpasst und ihn zu seinen Eltern zurückbugsiert.
Als Beth ihn einholte, stützte Fil sich auf seinen Speer. Er hatte Beth bestimmt kommen hören, aber er drehte sich nicht zu ihr um.
»Jesus!« Beth schüttelte den Kopf. »Haudrauf und Chef im Ring? Wenn das Mädchen dir ausgerutscht wär, hättest du ’ne ausgewachsene Meuterei an der Backe gehabt.«
Seine Wut war verraucht, seine grauen Augen blickten sorgenvoll. »Japp«, murmelte er, »aber falls sie alle zusammen gemeutert hätten, hätte das Ganze wenigstens was gebracht.«
Beth starrte ihn ungläubig an. »Du hast auf das hier gewartet ?«
Er lächelte schief. »Wenn die erst mal der Meinung sind, ich würde irgendeine Seite bevorzugen, dann gehen die schneller in die Luft als die Feuerwerksfabrik in Walthamstow. Aber jetzt haben die Weißhells gesehen, wie ich ’ne Bernsteingelbe vermöble, und die Natriumiten haben gesehen, wie ich ’nen Whitey auf die Bretter schicke.«
»Deine Idee?«
»Die von Glas. Sie hat gemeint, wenn ich’s hinkriege, dass sie allesamt sauer auf mich sind, würde sie das zusammenschweißen … jedenfalls für ’ne Weile.«
»Und nach dieser Weile?«, fragte Beth.
Sein Lächeln verschwand. »Bis dahin haben wir hoffentlich irgendwo meine Mutter aufgetrieben«, sagte er, »denn ein Machtwort von ihrer Göttin ist so ziemlich das Einzige, was sie davon abhalten wird, sich gegenseitig wieder zu der Sorte feinem Sand zu zermahlen, aus der sie gemacht sind.«
Elektra presste den Rücken gegen die schaumverkrustete Wand des Abwasserkanals und zwang sich, nicht zu atmen. Das kleinste Aufglühen konnte sie verraten.
Die metallenen Wölfe streiften durch die knöcheltiefe schmutzige Brühe, kaum zwei Meter an der Öffnung des engen Zugangstunnels vorüber, in dem sie sich versteckt hielt. Außer dem trüben Schimmer verrottenden, schlammigen Laubs gab es keinerlei Licht, doch die Dunkelheit bedeutete für Reachs Gerüstarmee kein Hindernis. Der einzige Wegweiser, den diese Monster brauchten, war das fauchende Kratzen von Draht auf Backstein: das Signal ihrer Gebieterin.
So wie alle jungen Natriumiten kannte Elektra die Kanalisation wie die Leuchtfäden auf ihrem Handrücken. Immerhin waren die Tunnel die einzige Möglichkeit, um tagsüber in der Stadt von A nach B zu kommen, ohne von der Tagsleuchte geblendet zu werden. Unzählige Male schon hatte Lek sich bis zu einem Kanaldeckel in Hackney vorgetastet, um sich davonzuschleichen und sich mit Fil zu treffen, wenn ihre Großmutter zu schläfrig war, um ihr deswegen eine Standpauke zu halten. Als die Wölfe und ihre stahlknochigen Abrichter in die Tiefen der Baustelle bei Tinker’s Gate hinabstiegen, war es ein Leichtes gewesen, ihnen in Londons Eingeweide zu folgen.
Elektra blieb in den schmalen Wartungstunneln, die parallel neben dem großen Abwasserschacht verliefen, in sicherer Entfernung zum tödlichen Nass. Sie spähte um die Ecke: Die Drahtmeisterin thronte inmitten der Rotte von Wölfen. Das dunkelhäutige Mädchen, dessen im Wirrwarr der Schlingen gefangener Leib so ausgedörrt wirkte wie der Kern einer alten Nuss, war das Zentrum ihrer Stärke.
Lek stellte sich vor, wie sie blitzartig angriff und die Luftröhre des Mädchens mit ihren Feldern zerfetzte; stellte sich vor, wie sie mit all der Energie, die sie durchs Tanzen aufzubringen vermochte, dem Drahtmonster just in dem Moment einen Schlag versetzte, wenn es sich voller Wut, aber geschwächt von seiner toten Sklavin wickelte.
Bekämpfe es. Töte es. Das Verlangen danach war so stark, dass ihre Leuchtadern schmerzten, doch
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