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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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gehören meine letzten Gedanken dem Mädchen am Ufer, diesem Mädchen, das jetzt so wie ich die Stadt in der Haut hat.
    Ich frage mich, was sie wohl empfinden wird, wenn die schwarz glänzenden Gestalten mich holen kommen.
    (Ich weiß, dass sie kommen werden, sie treiben stets ihre Schulden ein.)
    Sie wird zusehen müssen, wie sie ins Wasser waten und sich den Preis nehmen, den ich ihnen versprochen habe. Ich versuche mir einzureden, dass sie mir verzeihen wird, dass sie es verstehen wird, aber mal ehrlich, ich weiß, dass sie dazu nicht imstande wäre.
    »Irgend’ne Zutat … nichts, wofür ich zu Lebzeiten ’ne Verwendung hätte.«
    Nicht meine Worte waren die Lüge, sondern mein Tonfall, mein Verhalten, mein Lächeln – ich musste lügen, denn sonst hätte das sturköpfige Mädchen diese Last auf ihr Gewissen genommen, und das konnte ich auf gar keinen Fall zulassen.
    Ich sterbe und fühle mich immer noch, als hätte ich sie verraten.
    Dann plötzlich wird es hell, eine leuchtende menschliche Gestalt springt zu mir in den Fluss, mein Herz hämmert gegen meine Rippen. Die Panik bringt meinen Hals fast zum Platzen. Ich werfe meinen Kopf von einer Seite zur andern, würge an den Fluten der Themse, als ich mit letzter Kraft schreien will: N EIN!
    Im selben Moment, als das leuchtende Mädchen ins Wasser taucht, geht sie in Flammen auf.
    »Lek!«
    »Lek!« In meinem Traum war es ein Schrei. Jetzt, als ich es höre, ist es ein schwaches Krächzen. »Lek … «
    Abfälle ergießen sich auf meine Haut, und ich spüre, wie die zähen Säfte hineinsickern, sie neu beleben. Abgestandenes Regenwasser, klebrige Cola und eingedickte Süß-Sauer-Soße hüllen mich ein. Diese weggeworfenen Schätze sind ebenso Bestandteil der Stadt wie Beton und Teer, und noch dazu eine nahrhafte Kraftbrühe für meinen beinahe zu Tode geschundenen Körper.
    Nach mehreren Anläufen schaffe ich es, meine Hüfte zu überreden, dass sie sich beugt, und ich setze mich auf. Die Müllschicht bröckelt von mir ab, Sonnenlicht bohrt sich in meine schöne, sichere Dunkelheit.
    »Oargh.« Ich spucke stundenaltes Blut. Dann taste ich um mich herum, suche meinen Speer.
    »Herrje, was für ’n Wrack. Du bist also wach.«
    »Glas?« Meine Augen passen sich an, und das Bild des Schemens vor mir wird schärfer. Nach dem Klang seiner vollen, sonoren Stimme ist sein Körper nicht gerade das, was ich erwartet habe. »Ein Baby ? Glas, echt, versprich mir, dass du dir nie wieder ’ne Inkarnation wie die da baust.«
    »Warum?« Er klingt gekränkt. Etwas erhöht hockt er auf einem Haufen aus Milchtüten und ausrangierten Motoren, das Kinn auf seine Trinkhalmhände gestützt.
    »Weil’s gruselig ist, darum. Du bist fast so antik wie Vater Thems, und wenn du dich ausstaffierst wie ’n verwesender Fötus, dann fühl ich mich alt.«
    Er schnaubt verächtlich. »Du hörst dich an wie deine Freundin.«
    Licht flackert durch meine Erinnerung: Flammen, schmelzendes Natrium, das zischend vergeht …
    »Elektra hat nie laut gesprochen«, sage ich.
    Wanzen modellieren einen verlegenen Ausdruck auf seine Wangen. »Entschuldige. Ich meine – du weißt, wen ich meine.«
    Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und schaue über die Deponie hinweg auf die Stadt.
    Londons gedrängte Reihen erstrecken sich in den Morgensmog.
    »Wo ist Beth eigentlich? Ich glaube, ich hab geträumt, sie wär hier gewesen, sie … « Ich habe geträumt, dass sie mich geküsst hat, aber ich zögere, es auszusprechen, nicht mit der frischen Erinnerung an Elektra, die vor meinen Augen in Flammen aufgeht.
    Gossenglas schrumpft ein wenig zusammen. Käfer stieben aus seinen Ärmelaufschlägen. »Sie ist gegangen.«
    »Was denn? Sie ist nach Hause gegangen?«
    Sein Fußballkopf verliert noch ein wenig mehr Luft. »Nein, sie ist nach St Paul’s gegangen, Filius«, gesteht er. »Sie ist gegangen, weil sie versuchen will, Reach zu töten.«
    Etwas Kaltes schlängelt sich durch meinen Brustkorb. Weil sie versuchen will, Reach zu töten. Was für eine plumpe Umschreibung für Selbstmord. Ich bemühe mich, einen klaren Kopf zu behalten. »Fehlt noch irgendwer sonst?« Es klingt wie die sinnvollste Frage, die ich stellen kann, doch in diesem Augenblick ist mir irgendwer sonst vollkommen gleichgültig. Beth ist weg.
    »Die Weißhells berichten mir, dass dieser Russe, den du angeworben hast, seit ein paar Stunden verschwunden ist. Ihm liegt anscheinend was an dem Mädchen.«
    »Hat er irgendwelche Soldaten bei

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