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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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sich?«
    »Nein, er ist allein gegangen.«
    Ein giftiger Geschmack füllt meinen Mund. »Die beiden? Allein? Ausgerechnet die zwei Menschen – Thems und Jesus und Stadtblut, Glas! « Ich schreie ihn an. »Die beiden Einzigen, die nicht mit unsern Legenden aufgewachsen sind, die keinen Schimmer haben, worauf sie sich einlassen – die Drahtmeisterin lauert da, Glas! Kennst du irgendwen, der sich noch weniger eignet als die beiden, um’s mit ihr aufzunehmen? Ich muss Beth sofort hinterher – «
    Ich schaue mich um, suche hektisch den Boden ab. Ein grässliches Engegefühl raubt mir den Atem. »Glas, wo ist mein Speer?«
    »Sie hat ihn mitgenommen, um … « Er verstummt.
    Ich blicke ihm direkt in die Eierschalenaugen. »Um ihm das Ding in den Rachen zu rammen, ja?« Ich beende seinen Satz, meine Stimme wird tonlos. »Ganz so wie du’s mich gelehrt hast. Ist mir ein Rätsel, wer ihr diese Idee wohl in den Kopf gesetzt hat.« Ich funkle ihn an. Er hat Beth erzählt, wie man Reach töten kann; er hat so getan, als könnte sie’s tatsächlich fertigbringen. Seinetwegen wird sie glauben, sie hätte eine Chance.
    Ich mache mich daran, auf allen vieren über die Abfallhaufen zu klettern. Schmerz lodert um meine Gelenke auf, erstellt eine Karte meiner Verletzungen: einer komplexen Landschaft aus verbranntem Gewebe, Quetschungen und noch kaum geschlossenen Schnittwunden.
    Gossenglas’ Eierschalenblick folgt mir. »Da du es gerade erwähnst«, sagt er, »ja, ich kenne jemanden, der sich noch weniger eignet. Wie steht’s mit diesem halb verbrannten und ertrunkenen Kerl, den ein wild gewordener Stacheldraht fast gehäutet hat?«
    Ich ignoriere ihn, stapfe verbissen bergauf durch den Müll.
    »Filius, das kannst du nicht«, sagt er, sein Ton ist jetzt ernst. »Die Kleine ist so gut wie tot, und dasselbe gilt für den Russen. Es herrscht Krieg . Leute sterben . Es ist zu spät für die beiden. Sie bedeuten dir doch sicher nicht mehr als die Leben, die du noch retten kannst? Der Rest der Stadt«, fleht er, »dein Königreich. Das ist es, was jetzt zählt.«
    Ich reagiere nicht.
    »Du trägst Verantwortung«, drängt Glas. »Die Armee braucht dich. Du bist der Sohn Unserer Göttin. Du musst stark sein, für uns alle .«
    Schließlich drehe ich mich zu ihm um, wobei ich schwankend auf dem Wrack eines Fernsehers stehe. Ich bin zornig, zerschlagen, von dem Schock ganz benommen. »Ach ja? Vor nicht allzu langer Zeit hast du ihr gesagt, ich würde zusammenbrechen, wenn sie stirbt. Damals hast du versucht, sie loszuwerden. ›Weinen, wehklagen, sich auf die Brust trommeln‹ – schon vergessen? Ich nicht.«
    Er nickt widerstrebend, doch sein empörter Blick mustert mich, und vor meinem geistigen Auge erkenne ich dahinter auch den bernsteinfarbenen Blick von Elektra. Sie beide werfen mir vor, dass ich dem Menschenmädchen so nahegekommen bin.
    »Du hattest recht, Glas. Wenn sie stirbt, bin ich am Boden.« Stolpernd setze ich mich in eine Art Trab, und Glas’ Baby-Inkarnation springt auf einem sich ständig erneuernden Förderband aus Insektenschwärmen neben mir her. Ich spüre ein schmerzhaftes Kribbeln, während allmählich meine Muskeln erwachen.
    »Filius … « Seine Stimme klingt höher jetzt, beinahe schrill; sein Kleinkindgesicht ist vor Verzweiflung verzerrt.
    »Tut mir leid, Glas. Ich bin nicht stolz darauf, aber für mich zählt sie wirklich mehr.« Ich weiß nicht, ob er mich gehört hat, weil der Wind in meinen Ohren zu brüllen beginnt. Ich renne.

Kapitel 44
    Absperrungen aus Spanplatten erstreckten sich am Ende einer schmalen Seitengasse bei Ludgate Hill. Dahinter lagen die Trümmer abgerissener anonymer Gebäude, und eine Lawine aus Türen, Fensterbänken und nicht identifizierbaren Betonbrocken wälzte sich über den Rand der Zäune hinab in die Gasse: eine natürliche Rampe. Trotz der Kälte schweißgebadet, setzte Beth ihren Fuß darauf –
    – und hielt inne.
    Am oberen Rand schimmerte ein Gewirr alter Gerüststangen.
    Beth zögerte. Sie starrte auf die stählernen Streben, sah vor ihrem geistigen Auge, wie sie sich zu einem zähnefletschenden, beißwütigen Wolf verbanden. Wäre Fil bei ihr gewesen, er hätte sie angespornt, die Sache durchzuziehen – oder vielleicht wäre auch er es gewesen, der einen Ansporn gebraucht hätte, und sie hätte all ihren Mut zusammennehmen müssen, um ihm zu helfen.
    Doch er war nicht bei ihr. Es gab nur sie.
    Beth trat unruhig von einem Bein aufs andere. Vielleicht gibt’s

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