Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
ein mächtiger Unterkiefer. Der Schrei seiner gellenden Dampfpfeife glich einem Schlachtruf und jagte Beth einen Schauder über den Nacken.
Die Luft schien plötzlich angefüllt mit Elektrizität. Es roch verbrannt. Beth drehte sich um und lief los, stürzte zurück durch die Kabinentür, taumelte zwischen den rastlosen Erinnerungen hindurch über den Mittelgang –
Lauf, Beth, lauf –
»Zu langsam«, brüllte sie, »zu langsam!«
Herrgott, Beth, du bist zu lang…
Quiiiiiiieeetsch!
Ein durchdringendes metallisches Kreischen ertönte, gefolgt von der Erschütterung eines Aufpralls. Mit einem Ruck kam der Zug zum Stillstand, Beth wurde nach hinten geschleudert. Ihr drehte sich der Magen um, als sie hart auf dem Fußboden aufschlug. Für den Bruchteil einer Sekunde hüllte die feuchtkühle Nebelwand an der geisterhaften Front des Zugwesens sie ein, dann rollte sie hinaus auf die Schienen.
Keine Luft! Ihre Lunge kollabierte kurz wie im Vakuum, dann brach Beth in ein keuchendes Husten aus. Ihre Arme waren bis aufs Fleisch aufgeschürft, an ihrer Stirn spürte sie warmes Blut. Sie stützte sich auf die Ellenbogen –
– und blickte hinauf auf das Unmögliche.
Es gab keinerlei Trümmer, keinen verbogenen, qualmenden, weiß glühenden Stahl. Die beiden Züge waren über ihr: Beth lag auf den Schienen, die Geschöpfe bäumten sich mehr als zehn Meter über ihr auf. Ihre Triebwagen hoben sich aus den Gleisen wie drohende Schlangen und …
Und sie kämpften .
Sie versetzten sich Stöße, verkeilten sich, hakten die Rammbohlen ineinander wie Hörner. Sie kreischten und zischten unter der schieren Anstrengung ihrer Maschinen. Doch der Güterzug war größer und schwerer. Seine Waggons zogen sich zusammen wie ein gewaltiger Muskel, dann schleuderte er Beths Zug zu Boden. Die Erde erzitterte und Beth mit ihr, als der Güterzug flink wie eine Kobra herabstieß und das Fahrwerk seines Feindes mit seinen Rädern zermalmte.
Funken stoben, eine Art öliges Blut sprudelte aus Beths Zug, und er schrie.
»Aufhören!« , brüllte Beth, stolperte vorwärts und fuchtelte mit den Armen, als versuchte sie ein wildes Tier zu verscheuchen. Sie hustete, war halb benommen vom Aufprall und all dem Rauch, doch sie kletterte über den zerschlagenen Leib ihres Zugs, kreischte wie ein Idiot. »Runter von ihm!« , schrie sie, und der Rauch kratzte in ihrer Kehle, bis sie fast wund war. »Mach, dass du wegkommst!«
Der massige Güterzug bäumte sich auf, eingesponnen in blaue Blitze, bereit zu einer neuen Attacke. Er flackerte, wurde unscharf, hinterließ seltsame Nachbilder: eine Dampflok, eine plumpe Untergrundbahn, eine Spur von Erinnerungen, als wüsste er nicht mehr, was er eigentlich war. Seine Dampfpfeife kreischte gequält.
Der kaltweiße Strahl seines Auges heftete sich auf Beth. Er schnaubte, stieß seinen Dampfatem aus. Sie fühlte sein Gewicht über sich wie eine Verheißung.
»Um Thems’ willen – geh verdammt noch mal aus dem Weg! «
Sie taumelte, als etwas sie beiseitestieß. Aus dem Augenwinkel sah sie kurz eine Gestalt: einen schmächtigen Jungen, nackt bis auf eine schmutzige, zerrissene Jeans. Seine Haut war grau wie Beton, und sein Gesicht war von Angst gezeichnet.
Dann stürzte der Güterzug nieder, seine Rammbohlenkiefer gruben sich in die Gleise. Der donnernde Einschlag ließ die Welt vor den Augen verschwimmen. Die Gestalt verschwand. Beth schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen, noch völlig konfus von dem Getöse. Hatte sie sich das nur eingebildet – ?
Nein, da war er, hoch oben auf dem Monster, irgendwie. Bei jedem keuchenden Atemzug zeichneten sich die Rippen an seinem Brustkorb ab. Mit der einen Hand hielt er etwas gepackt, das aussah wie ein Stück eines Eisengeländers, und während Beth zu ihm hinaufsah, stieß er es wieder und wieder hinab, hinein in die metallene Haut des Zuggeschöpfs. Die provisorische Waffe fuhr durch den Stahl wie durch Alufolie, und mit jedem Stich schrie das Ungetüm.
Räder kamen surrend in Schwung, knirschten schrill über die Schienen, und Beth brachte sich mit einer Hechtrolle in Sicherheit. Ihr dröhnten die Ohren, als der Güterzug an ihr vorbeipolterte, an dessen Dach sich noch immer der graue Junge festklammerte. Die hinteren Waggons zergingen, lösten sich auf in nichts, während das Zuggeschöpf Tempo aufnahm.
Beth schüttelte sich wie ein Hund, um wieder etwas Gefühl in ihre betäubten Glieder zu bringen, ihre Geistesgegenwart
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