Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
mir«, murmelte er, »wenn er dich tot sehen wollte, hättest du auch die Hosen voll.« Er schwieg, schielte argwöhnisch nach einer flatternden Taube über ihren Köpfen.
»Und?«, fragte Beth.
»Und was?« Gereizt sah er sie an.
»Wer will dich umbringen?«
»Was kümmert dich das?«
»Was mich das kümmert ?« Die Frage machte Beth sprachlos. »Ich … ich hab – «
Er rammte seine Eisenstange zwischen die Gleise und verschränkte die Arme. Seine Angst war verschwunden, verborgen hinter einer Maske aus Draufgängertum. »Ja?«
»Hör zu – « Beth biss die Zähne zusammen. Er hatte sie vielleicht davor bewahrt, zermalmt, verbrannt und durch einen Stromschlag gegrillt zu werden, aber sein arrogantes Getue ging ihr mächtig gegen den Strich. »Ich hab dir grad dein verdammtes Leben gerettet, richtig?«
Der Junge machte Anstalten zu protestieren, doch Beth hob die Hand. » Stopp , lass mich ausreden. Ob dir das gefällt oder nicht, ich hab dein Leben gerettet. Also, wenn du jetzt losmarschierst und dich umbringen lässt, hätt ich mir den Mist ja gleich sparen können. Ehrlich gesagt nervt’s mich einfach, dass die ganze beschissene Mühe umsonst gewesen sein soll.«
Das Grau im Gesicht des Jungen verdüsterte sich, wirkte plötzlich noch schmutziger. »Ich hab dir genauso das Leben gerettet«, blaffte er.
»Japp«, sagte Beth, »zwei Mal. Worauf willst du hinaus? Weil du mein Leben gerettet hast, soll ich mich jetzt nicht mal ’nen feuchten Dreck darum scheren, dass irgendwer dir deins nehmen will?«
»Hä?« Der Junge schien völlig verwirrt.
»Du hast gefragt , was mich das kümmert.« Beth sprach jedes Wort mit übertriebener Deutlichkeit aus. »Wieso zum Teufel sollte mich das nicht kümmern? Wieso hast du’s mir überhaupt erzählt, wenn du nicht willst, dass es mich kümmert? Ooh, ›Jemand versucht mich zu töten‹ .« Sie schlug sich in gespieltem Entsetzen die Hände vors Gesicht. »Soll ich davon etwa beeindruckt sein?«
Der Junge blinzelte. Seine Stirn legte sich in Falten. »Und, bist du’s?«, fragte er mit schwacher Stimme.
» JA !«, brüllte Beth. » BIN ICH , VERDAMMT ! D ESWEGE N FRAG ICH DICH DOCH !« Sie setzte sich auf den harten Kies.
Der Junge setzte sich neben sie, wirkte ebenso verlegen wie gründlich verwirrt. »Danke«, sagte er. »Danke, dass du mich gerettet hat.«
Beth atmete scharf aus. »Gleichfalls«, erwiderte sie, dann streckte sie ihm die Hand hin. »Ich heiße Beth.« Er schüttelte ihre Hand, sagte aber nichts. »Und du heißt?«
Er schüttelte bloß den Kopf.
»Na schön, dann mach eben Scheiße noch mal einen auf rätselhaft.« Sie seufzte. »Aber wenn wir hier an meiner Schule wären und du würdest dir selbst keinen Namen geben, dann würden die sich einen für dich ausdenken, du verstehst? Und glaub mir, er würde dir nicht gefallen.«
Die würden dich vermutlich schlicht Straßenkind nennen , dachte sie. Jedenfalls würde ich dich so nennen. Weil du eben danach aussiehst: wie ein Fünf-Jahre-später-Schnappschuss aus einer »Hilfe für Londoner Kinder«-Kampagne.
Eine Weile lang saßen sie schweigend da. Der Junge rieb sich die Innenseite seines Handgelenks, und Beths Blick fi el zum ersten Mal auf das Zeichen: eine Tätowierung, schiefergrau in seiner helleren Haut. Es schien ein Halbkreis au s Hochhäusern zu sein, angeordnet wie die Zinken einer Krone.
»Also, wer will dich umbring…?«, begann sie, doch er schnitt ihr das Wort ab.
»Nicht«, sagte er scharf. »Stell keine Fragen – versuch’s gar nicht erst. Du hast heute Nacht Monster gesehen.« Er grinste matt. »Und ich bin vermutlich der Schlimmste der ganzen Bagage, also vergiss mich einfach. Ihr Menschen könnt alles vergessen, wenn ihr euch nur genug anstrengt.«
»Komm schon«, protestierte Beth, »wer immer es ist, so schlimm kann er nicht sein. Wie du’s diesem Zugwesen gezeigt hast – «
»Er ist schlimmer«, sagte er entschieden.
»Na gut, aber trotzdem – wer er auch ist, ich wette, wir könnten es mit ihm aufnehmen.« Wir. Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte.
Ein asphaltgrauer Blick traf sie. Der Junge lächelte, und sie lächelte zurück, doch dann schüttelte er traurig den Kopf. »Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Hör zu, du bist irgendwie lustig – auf ’ne ziemlich halsbrecherische Art. Vielleicht schaffst du’s ja, mich zu finden, wenn das alles vorbei ist.« Sein Lächeln war schwach. Es sah nicht so aus, als hätte er große Hoffnung, dass
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