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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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ihr hier gefangen?
    Doch wie Gespenster kamen sie ihr nicht vor. Sie waren eher so etwas wie Erinnerungen – Erinnerungen an Passagiere, an ein paar Sekunden ihres Lebens, der Zeit entrissen und in diesem Zug aufbewahrt, sich immerfort wiederholend wie bei einer zerkratzten CD .
    Beth ließ ihren Blick durch das Abteil wandern, über ausgeblichene Stoffsitze und abblätternde Wandverkleidungen. Sie erinnerte sich an den fragenden Laut, den das Zuggeschöpf ausgestoßen hatte. Das hier war das Innere eines lebendigen Wesens. Befand sie sich in seinem Geist? Sind diese Leute deine Erinnerungen? Bist du es, der sich an sie erinnert?
    Bremsen quietschten, Hydraulik zischte. Das Abteil fing an zu schwanken. Beth fühlte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Der Zug bewegte sich.
    Sie rannte zur Tür und hämmerte auf den Knopf, aber nichts geschah. Panisch drückte sie ihr Gesicht an die Scheibe. Durch das gesplitterte Glas konnte sie die Backsteinschraffur der Tunnelmauern vorbeiwischen sehen, schneller, immer schneller. Sie saß in der Falle – und der Zug beschleunigte weiter. Sie taumelte vom Fenster zurück und warf sich gegen die Tür zum Führerhaus: Vielleicht konnte sie die Fahrt ja von dort aus stoppen? Blaue Funken zuckten über die Zähne der geisterhaften Passagiere, die im Rhythmus des Zuges schwankten, vollkommen unerschrocken.
    Die Tür zur Kabine war verschlossen, und obwohl Beth mit aller Kraft an der Klinke riss, rührte sie sich kein bisschen.
    »Dämliches Mistding!«, schrie sie, ballte die Faust, hieb sie voller Verzweiflung gegen die Tür –
    – und geradewegs durch sie hindurch.
    Beth zitterte und zog ihren Arm zurück. Diesmal stieß sie sie etwas langsamer vorwärts; sie glitt durch das Metall wie durch Dampf.
    Die Tür und das Kaugummiblasen-Mädchen – sie beide waren so unstofflich wie ein Gedanke.
    Beth zögerte kurz, dann schob sie sich hindurch.
    Der Zug schoss aus dem Tunnel.
    Mit weit aufgerissenen Augen blickte Beth sich in der Kabine um. Es gab keinen Fahrer. Der Fahrtwind peitschte ihr ins Gesicht, als wäre die Front des Zugs gar nicht da. Sie fühlte ihre Angst kleiner werden, und während sie die Panik herunterschluckte, trat etwas anderes, eine wilde, heiße Erregung an ihre Stelle. Sie streckte die Hand aus und streichelte die Kontrolltafel des Geschöpfs. Der Motor antwortete ihr mit einem Schnurren. Blaue Elektrizität tänzelte um ihre Hand, berührte sie jedoch nicht.
    Das Fenster der Fahrerkabine schien zu flackern. Beth holte tief Luft. Sie beugte sich nach vorn, und ihr Körper glitt durch die Scheibe wie durch kalte Nebelschleier. Sie klammerte sich an die Kontrolltafel, hing über dem unstofflichen Bug wie eine Galionsfigur. Scharen von Gleisschwellen jagten unter ihr hindurch. Sie schmeckte den Dieselgeruch in der Luft. Plötzlich merkte sie, dass sie wie wahnsinnig lachte, der Wind trug die Geräusche davon. Sie stieß einen unartikulierten Jubelschrei aus, und die Pfeife des Zugs ertönte überschwänglich als Antwort.
    Ein massiges, kauerndes Etwas erschien in der Ferne, als sie auf die riesige, schienenbedeckte Überführung zur Waterloo Station zurasten. Zu beiden Seiten verschmolzen Häuser und Werbetafeln und schimmernde Türme in einem reißenden Strom aus Dunkel und streifigen blassgelben Lichtern. Signalmasten glommen rot durch den Herbstnebel, baumelten von einer Brücke, die so schwarz und so finster war wie ein Galgen.
    Beth flog nicht bloß über die Gleise, sie flog über die ganze Stadt . Der Kick rauschte ihr durch die Adern, und sie schrie – doch schlagartig blieb ihr der Jubel im Hals stecken: Ein Scheinwerferpaar schoss auf sie zu.
    Dort vorn war ein anderer Zug.
    Beth keuchte. Mit jeder Sekunde rückten die Scheinwerfer näher, und mit jeder Sekunde wuchs die Gewissheit. Ihre Erregung verwandelte sich in Entsetzen. Sie starrte ungläubig, aber es gab keinen Zweifel …
    Der andere Zug fuhr auf ihrem Gleis.
    »Stopp!«, brüllte sie dem Geschöpf zu, das sie trug. »Stopp, wir rasen direkt darauf zu!« Doch der Fahrtwind trug ihre Stimme davon, und ihr Zug fuhr nicht langsamer, selbst als der andere Triebwagen, ihr tödliches Spiegelbild, erbarmungslos auf sie zustob. Sie konnte jetzt seine Umrisse ausmachen: ein wuchtiger Güterzug, gelb-schwarz gestreift wie eine Wespe und gepanzert mit schwerem Stahl. Aber auch er war kein wirklicher Zug: Ein Wirbelsturm aus Elektrizität flirrte beständig um ihn herum. Seine Rammbohlen waren gebogen wie

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