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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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mit einem Grunzen und schleuderte den Eisenstab, der die vordere Rammbohle durchstieß und sich dann tief in den Boden grub.
    Was folgte, war eine Eruption blauen Lichts, ein Geisterbild riesiger, stumpfer, schwirrender Zähne. Dann versank Beth in völliger Dunkelheit.
    Mit dem Zischen fernen Verkehrs kehrte die Welt langsam zurück. Beths Nase verriet ihr, dass sie am Leben war – soweit sie wusste, rochen weder Himmel noch Hölle wie ein verstopfter Abfluss in Southwark. Sie hielt ihre Augen geschlossen. Im Kies neben ihrem Kopf knirschten Schritte.
    »Tja, du siehst aus wie tot.« Die Stimme hatte einen leichten East-End-Akzent. »Aber du riechst nicht wie tot, und falls das ein Herzschlag ist, den ich da höre, dann klingst du auch nicht wie tot.«
    Eine Hand schob sich unter ihre Schultern, eine zweite legte sich um ihren Kopf, dann wurde sie auf die Füße gehievt. »Rauf auf die Stelzen, na los.« Der Junge half ihr, sich aufzurichten, dann trat er zurück. Er runzelte die Stirn und stützte sich auf seine Eisenstange.
    Er schien ungefähr sechzehn zu sein, doch das ließ sich schwer schätzen, da seine Augen in tiefen Höhlen saßen, und seine hohlen Wangen knapp davor waren, verhungert auszusehen. Die Haut, die sich über seine Rippen spannte, war von einem fleckigen Grau, als hätte sie den Ruß und das Öl der Stadt aufgesogen und wäre nun dauerhaft eingefärbt. Er sah aus wie ein Gossenbengel aus einem dieser alten Bücher, allerdings wilder, ungezähmter und bereits halb erwachsen.
    Beth starrte ihn an, die Augen weit aufgerissenen, verwirrt. Sie blickte sich um, doch von der Zugbestie war nicht das Geringste zu sehen. »Wo ist das Ding hin?«, fragte sie atemlos. Die Frage schien ihr dringender als die nächste, die sie sich zurechtgelegt hatte: Wer zum Henker bist du?
    »Der Gleisgeist?«, erwiderte er. »Hab ihn geerdet, die Ladung über den Boden abgeleitet.« Er zuckte kleinlaut die Schultern. »Hätt wohl eher dran denken sollen, nehm ich an, aber wenn was dermaßen Großes und Bösartiges aus der Dunkelheit auf dich zugeschossen kommt, fällt dir natürlich erst mal ein, das Teil mit was Scharfem abzustechen, du verstehst schon?«
    Er musterte sie eindringlich, als sie vor ihm zurückzuckte, dann lachte er. »Tja, obwohl, vielleicht auch nicht. Was in Thems’ Namen hast du dir bloß dabei gedacht, das Ding so anzubrüllen? Wolltest du mit ihm verhandeln ? Hast du geglaubt, ein Gleisgeist kann sprechen ?«
    Beth spreizte ratlos die Hände.
    Benzinfarbene Schweißperlen schimmerten auf der seltsam betongrauen Haut des Jungen, bahnten sich ihre Wege an scharf hervortretenden Muskeln, Sehnen und Knochen entlang.
    »Du bist schräg «, sagte er. Er starrte sie noch ein paar Sekunden lang an, als wäre sie ein besonders wunderliches Museumsstück, dann schnaubte er und stapfte an ihr vorbei auf den Rand der Überführung zu.
    »Warte!«, rief Beth. »Warte, wo gehst du hin?« Er beachtete sie nicht, und Beth musste rennen, um ihn einzuholen. Sie wurde sich plötzlich und schmerzhaft all der Prellungen bewusst, die ihre Beine und ihren Rücken übersäten.
    »Du kannst doch nicht einfach so abhauen – hey, ich rede mit dir!« Sie griff nach seinem Arm. »Ich hab dir da hinten das Leben gerettet … « Sie stolperte, als er unvermittelt herumwirbelte.
    Er bleckte die Zähne wie eine fauchende Wildkatze. »Ach ja?«, zischte er. »Tja, ich hab dir deins zuerst gerettet, und so wie die Dinge liegen, wird meine Heldentat wohl ’ne Weile länger vorhalten als deine.«
    Allmählich sickerten die Vorboten der Morgendämmerung über den Horizont, und im Dämmerlicht konnte Beth die Anspannung um die Augen des Jungen sehen. Er knurrte, versuchte grimmig zu wirken, und ihre Furcht schwand: Denn zum ersten Mal kam er ihr nicht wie irgendein fremdartiger, selbstherrlicher Kerl von der Straße vor, sondern schlicht wie ein Teenager, der vor lauter Angst vollkommen hilflos war.
    »Was soll denn das heißen?«, fragte sie leise. »Wovor hast du solche Angst?«
    »Ich hab keine Angst.«
    Beth sah ihn bloß an.
    »Wär mir zwar neu, dass dich das irgendwas angeht«, sagte er nach einer langen Pause, »aber dieser Gleisgeist ist aufgehetzt worden – aufgehetzt gegen mich. Jemand versucht mich zu töten, jemand, der – « Er hielt inne und warf einen unruhigen Blick zum Horizont, wo die Kuppel von St Paul’s in den Himmel ragte. Die Kräne krümmten sich um sie herum wie unbarmherzige Metallfinger.
    »Vertrau

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