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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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es, »wenn das alles vorbei war«, noch sonderlich viel zu finden gäbe.
    »Und wo soll ich nach dir suchen?«, fragte Beth.
    Er zögerte, dann sagte er: »Dein Akzent klingt nach Hackney … «
    Sie nickte.
    »Also schön, Hackney-Girl, such nach mir bei dem Tanz, wo das Licht selbst die Musik ist, wo der Ansturm des Gleisgeistes die Trommel schlägt.« Er musterte sie. »Such nach mir im geborstenen Licht, wenn das alles vorbei ist, und dann vielleicht werden wir tanzen. Aber jetzt geh. Es ist schon übel genug, dass ich versuche, mich dem entgegenzustellen, was kommt. Ich kann dich nicht auch noch mit reinziehen.«
    Die Zurückweisung fühlte sich an, als krampfte sich eine Faust um Beths Eingeweide. »Warum nicht?«, flüsterte sie.
    Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Tja, ich hab dein Leben gerettet«, sagte er, »und es würd mich nerven, wenn die ganze Mühe umsonst gewesen wäre.«
    »Pass mal auf, Kumpel – «, legte Beth los, doch im selben Augenblick sprang der grauhäutige Junge auf und rannte die Gleise entlang.
    Beth fluchte und setzte ihm nach. Noch nie war sie so schnell gelaufen; ihre geschundenen Muskeln protestierten lautstark, während die Schienen unter ihr hindurchwischten. Einen Augenblick lang war sie mit dem Jungen gleichauf, aber dann zog er langsam, quälend langsam davon. Beth keuchte, ihre Lunge brannte, doch er lief immer schneller und schneller. Seine Bewegungen wurden sonderbar flüssig, geschmeidig, wie die einer Straßenratte. Er sah fast nicht mehr menschlich aus.
    Er sprang auf die Brüstung der Überführung, stand kurz als Silhouette vor dem dämmrigen Londoner Himmel. Für einen Augenblick schien das gedrungene Wirrwarr der städtischen Skyline wie eine Armee, die dem knochigen Jungen den Rücken stärkte. Dann sprang er in die Tiefe.
    Sekunden später kam Beth zu der Stelle, keuchend und fluchend. Sie reckte den Kopf über die Brüstung. Der morgendliche Berufsverkehr lärmte von der Straße unten zu ihr herauf. Doch zwischen den schwirrenden Formen der Autos war nichts zu sehen.

Kapitel 7
    Die Wellen der Themse brechen sich an dem Schutzwehr, das im Wasser glänzt wie die Knöchel eines riesigen Fehdehandschuhs. Es ist Samstag, die Industriegebiete von North Greenwich sind menschenleer: kleine, umzäunte Einöden. Gossenglas vermag sich überall im Stadtgebiet Londons zu manifestieren, doch es gibt Orte, wo der Geist des Mülls stärker ist, wo er sich in jedem Backstein und jeder Betonpore anreichert.
    Ich kauere auf einem Parkplatz, hinter einem Wagen mit zwei fehlenden Radkappen und einem Zu-verkaufen-Schild aus Pappe im Fenster. Ratten huschen vorüber, aber ich beachte sie nicht. Auch sie würden Glas beizeiten eine Nachricht bringen, doch ich will, dass die Botschaft ihr Ziel schneller erreicht.
    Ich grabe meine Hand in den Boden. Die Erde zerkrümelt mir zwischen den Fingern, winzige schwarze Ameisen wimmeln über meine Handfläche. Besser. Ich ziehe ein Fläschchen aus meiner Tasche, entkorke es mit den Zähnen und lasse die entweichenden Dämpfe einem der Insekten über die Fühler strömen. Das Tier erstarrt für einen Augenblick, dann zittert es ekstatisch, flitzt über meinen Handrücken, mein Bein hinab und in die Erde davon. Was die Geschwindigkeit der Übermittlung angeht, ist eine Schwarmintelligenz nicht zu schlagen.
    Jetzt warte ich.
    Ich denke an das Mädchen von letzter Nacht, ihre breiten, flachen Wangenknochen und ihr verwuscheltes Haar. Wir könnten es mit ihm aufnehmen , hat sie gesagt: wir , auch wenn ich sie erst seit fünf Minuten kannte und selbst im Gewühl eines Samstagnachmittags am Oxford Circus die panische Angst in ihrem Schweiß gerochen hätte. Was ist das für ein Mensch, der so denkt? Wir .
    Weil ich allein bin, weil es ein Geheimnis ist, gestatte ich mir, darüber zu lächeln.
    Über mir kreisen schreiende Möwen. Während ich zuschaue, lässt sich eine von ihnen aus ihrer trägen Bahn fallen und taumelt in raschen Spiralen zu Boden, schlägt vor der Landung hektisch mit den Flügeln. Aus einem gelben Auge blickt der Vogel mich an. Ich kann erkennen, dass etwas Klumpiges seinen Hals dehnt. Er wirft seinen Kopf hin und her und würgt.
    Mit einem glitschigen Laut schießt ein Gewirr von Würmern und Asseln aus seinem Schnabel, verteilt sich auf dem Betonboden. Meine kleine Ameise flitzt aus dem Haufen davon, ihr Job ist getan. Sie zieht eine klebrige Spur aus Vogelspeichel hinter sich her.
    Ich sehe zu, wie die Insekten sich an die

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