Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Gossenglas beugte. Beth stand mit zittrigen Knien hinter ihm. Sie schwitzte trotz der Kälte der Nacht, ihr war abwechselnd sehr heiß und sehr kalt.
    »Ähm, Fil?«, fragte sie. Ihre Stimme klang schrill. »Was soll ich … du weißt schon? Kann ich irgendwas … ?« Sie hielt inne. Das metallische Getöse kam immer näher. Es fiel jetzt in einen klaren Rhythmus, bildete klirrende Klangfiguren. Über den Schieferdächern zu ihrer Rechten bemerkte Beth eine flüchtige Bewegung: Da war etwas, groß, blitzschnell und grau.
    Fil griff nach seinem Speer und schwenkte ihn in einem sanften Bogen, so als folgte er dem Weg von etwas, das hinter den Gebäuden verborgen war.
    Der hohltönende Lärm war jetzt ohrenbetäubend, längst laut genug, um Glas bersten und Trommelfelle platzen zu lassen. Wie kann dieses Ding dermaßen laut sein , schoss es Beth durch den Kopf, obwohl’s noch immer nicht hier ist? Sie schaute sich um, konnte es jedoch nirgends entdecken.
    Urplötzlich ertönte ein tiefes metallisches Heulen, grauenhaft nah.
    Skelettwolf.
    Metall schoss kreischend um die Straßenecke. Beth warf sich auf den Boden, spürte, wie das Wesen an ihr vorbeirauschte. Stahlrohre schwirrten in Kopfhöhe über sie hinweg, trafen einen Weißhell und zerschmetterten ihn zu phosphoreszierendem Staub. Der rußschwarze Schattenriss eines Mannes brannte einen Augenblick lang auf ihrer Netzhaut, dann war er verschwunden.
    Die Welt bestand nur noch aus wirbelndem Metall, splitterndem Glas und fürchterlichem Geheul. Etwas packte Beth an der Kapuze und riss sie zurück. Eine stählerne Pranke hieb dröhnend aufs Pflaster, dort wo eben noch ihr Kopf gewesen war.
    Der Skelettwolf bellte. Sie sah es, hörte es, spürte es in ihren Eingeweiden. Aus einem gestaltlosen Leib, einer dichten Traube von wirbelnden Gerüststangen in unablässiger chaotischer Bewegung, trat eine stumpfe Schnauze hervor, geformt aus einem Skelett stählerner Rohre. Kiefer schnappten zu und knirschten dabei in Scharnieren, Wolken von blutrotem Rost stoben aus zuckenden Nasenlöchern. Beth beobachtete, wie schwirrende Stangen sich zu etwas verbanden, dann schoss eine Pranke von der Größe ihres Kopfes nach vorn und löschte mit einem gewaltigen Hieb das Lebenslicht eines weiteren Lampenmanns aus.
    »Victor!«, brüllte Fil gegen das Kreischen des Metalls an. »Wir müssen hier weg!«
    Der alte Russe führte einen seltsamen hüpfenden Tanz auf in dem Versuch, dem Stahlregen auszuweichen. » Da , du glauben echt ?«
    Der Skelettwolf schnappte nach ihnen mit schartigen Zähnen aus gespitzten Schrauben, und Fil zerrte Beth nach hinten. Das Getöse fuhr ihr durch Mark und Bein, als die Kiefer dröhnend im Leeren zusammenschlugen. Hastig rappelte sie sich hoch und stürmte mit den anderen auf eine schmale Gasse zu. Gossenglas krabbelte, wimmelte, wuselte ihnen zwischen den Füßen herum.
    Sie schlängelten sich durch eine schmale Lücke in der Reihe der Backsteingebäude, die Weißhells stolperten ihnen nach. Schaufensterpuppen glotzten ihnen träge aus einem Geschäft entgegen, und Beth brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass der Laden am anderen Ende des Durchgangs lag. Panik kroch ihr in die Kehle.
    Eine Sackgasse.
    Alles erbebte unter dem Hieb des Skelettwolfs. Seine Krallen bohrten sich in die Pflastersteine an der Einmündung der Gasse. Er war riesig, seine Schultern zu breit für den Durchgang. Das Geschöpf warf sich mit aller Gewalt gegen die Hauswände, bellend und mit aufgerissenem Maul. Ziegelstaub stob wie Pulverschnee aus den rissigen Mauern. Der Wolfskopf ragte gut drei Meter in die Gasse hinein, doch weiter kam das Gerüstwesen nicht. Sein zorniges Knurren klang wie ein bremsender Lkw.
    Beth atmete heftig aus, als eine hysterische Erleichterung sie durchströmte. Um sicherzugehen, blickte sie hinüber zu Fil, doch der wirkte alles andere als erleichtert. Mit bleichen Knöcheln umklammerte er seine Eisenstange, sein Gesicht verriet ängstliche Anspannung.
    Zahnräder surrten und Muttern lockerten sich. Ein sonderbares Klirren ertönte, und Beth sah, wie ölige Streben sich dichter zusammenschoben. Der Wolfsschädel am Eingang der Gasse wurde schmaler, die Schultern rückten Richtung Hals. Das Gerüstwesen schrumpfte gerade so viel, um in den Durchgang zu passen, dann stürmte es mit Riesensätzen direkt auf sie zu.
    »Victor!« , schrie Fil. Der alte Landstreicher bellte irgendetwas auf Russisch. Er ließ seine Lampe aufblitzen, und die Weißhells