Der Wolkenpavillon
hatte.
»Auch wenn Sano sich entschuldigt hat - ich werde ihm das nie verzeihen!«, stieß Yoritomo mit hasserfüllter Stimme hervor, die so gar nicht zu seinem ansonsten sanften, freundlichen Wesen passte. »Wieso kannst du ihm verzeihen, Vater?«
Doch Yanagisawa hatte Sano nicht verziehen. Immer wenn er an diesen Tag damals dachte, überkam ihn heiße Wut. Doch er hielt seine Gefühle im Zaum, damit sie ihn nicht zu überstürztem Handeln verleiteten. Und er musste Yoritomo dazu bringen, seinem Beispiel zu folgen. »Weil es nicht anders geht. Du solltest Sano nicht nachtragen, was er dir angetan hat. Das macht es nur noch schlimmer für dich.«
Yoritomo musterte seinen Vater verwirrt. »Hasst du Sano wirklich nicht? Schließlich hat er nicht nur mich gedemütigt, sondern auch dich!« Yoritomo war so aufgebracht, dass er jede Zurückhaltung vergaß. »Was ist nur aus dir geworden, Vater? Du warst einmal der alleinige Kammerherr und der einzige Stellvertreter des Shōgun. Jetzt musst du diese Ehre mit Sano teilen. Und er hat dir nicht nur dein Amt gestohlen, sondern auch dein Haus!«
Tatsächlich hatte der Shōgun, nachdem Yanagisawa in die Verbannung geschickt worden war, dessen prachtvolles Anwesen an Sano übergeben. Der bloße Gedanke, dass sein Erzrivale nun in seiner Villa lebte, erfüllte Yanagisawa mit Zorn, denn er selbst musste mit einem bescheideneren Anwesen im Beamtenviertel vorliebnehmen, inmitten der Häuser seiner Untergebenen, unweit einer belebten Straße, sodass man den Lärm hören konnte: Stimmen, Hufgetrappel, Marschtritte. Außerdem fühlte Yanagisawa sich eingeengt zwischen seiner Dienerschaft und den Wachsoldaten. Er vermisste die Stille und die Geräumigkeit seiner alten Villa schmerzlich. Zu schade, dass die Fallen, die er dort hatte einbauen lassen, Sano nicht getötet hatten.
»Warum bestrafst du ihn nicht?«, fragte Yoritomo hasserfüllt. »Warum müssen wir so tun, als wäre alles in bester Ordnung? Warum kämpfen wir nicht?«
»Weil wir verlieren würden«, erwiderte Yanagisawa düster.
»Bestimmt nicht«, widersprach Yoritomo. »Du hast mächtige Verbündete und eine starke Armee.«
»Die hat Sano auch.«
»Aber deine Position ist stärker.«
»Das dachte ich auch, als ich gegen Fürst Matsudaira zu Felde gezogen bin, aber ich hatte mich geirrt. Auf dem Schlachtfeld war er mir weit überlegen.« Yanagisawas Gedanken verdüsterten sich, als er an diese Niederlage zurückdachte. »Meine Verbündeten liefen zu ihm über wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen. Nein, ich darf keinen weiteren Krieg riskieren.«
»Aber ...«
»Kein Aber«, unterbrach Yanagisawa seinen Sohn mit einer Stimme, die keinen weiteren Widerspruch duldete. »Beim letzten Mal sind wir noch einmal glimpflich davongekommen. Mir ist die Hinrichtung erspart geblieben, und du durftest in Edo bleiben, statt mit mir in die Verbannung zu müssen.« Der Shōgun selbst hatte darauf bestanden, dass Yoritomo bei ihm blieb, obwohl Fürst Matsudaira verlangt hatte, Yanagisawas gesamte Familie in die Verbannung zu schicken. »Beim nächsten Mal haben wir vielleicht nicht so viel Glück.«
Yoritomo betrachtete seinen Vater mit einer Mischung aus Resignation und Enttäuschung. »Also willst du aufgeben, weil du Angst vor einer Niederlage hast. Angst, dein Leben zu verlieren.«
Yanagisawa zuckte zusammen. Sein Sohn, der ihn stets vergöttert hatte, bezichtigte ihn der Feigheit!
»Was du sagst, ist dumm und ungerecht«, erwiderte er gereizt. »Manchmal ist Furcht ein besserer Ratgeber als Mut. Mut hat schon so manch einen dazu verleitet, das Falsche zu tun, mit schrecklichen Folgen. Als ich gegen Fürst Matsudaira gekämpft habe, habe ich eines gelernt: Allein durch Gewalt kannst du niemals wahre Macht erlangen. Merk dir das!« Er sah, wie Yoritomo errötete. »Wenn eine Strategie fehlschlägt«, fuhr Yanagisawa fort, »darfst du sie in einer ähnlichen Situation nicht noch einmal anwenden. Wenn du bessere Ergebnisse willst, musst du dir eine neue Strategie zurechtlegen.«
Ein hoffnungsvoller Ausdruck legte sich auf Yoritomos Gesicht. »Willst du damit sagen, du hast einen neuen Plan, wie du Sano schlagen und uns zurück an die Spitze des Regimes bringen kannst?«
»Oh ja.« Yanagisawa lächelte genüsslich, als sein Masseur die Steifheit aus seinen Rückenmuskeln knetete.
»Aber wie können wir siegen, ohne einen Krieg zu führen?«
»Die Zeit der Kriege ist vor mehr als hundert Jahren zu Ende gegangen, als
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