Der Wolkenpavillon
der Tokugawa-Klan und seine Verbündeten ihre Feinde besiegt und Japan erobert haben«, erklärte Yanagisawa. »Heutzutage kann man die Macht nicht mehr auf dem Schlachtfeld erlangen. Die Politik ist das Schlachtfeld, und man muss ausgefeiltere Mittel einsetzen als rohe Gewalt.«
»Und welche?« Gespannte Erwartung lag auf Yoritomos hübschem Gesicht. »Was hast du vor? Spiele ich eine Rolle in deinen Plänen?«
Es rührte Yanagisawa, dass Yoritomo bereit war, auf seiner Seite zu kämpfen, ungeachtet der Gefahren. Was für ein guter Sohn er doch war! »Oh ja«, sagte Yanagisawa. »Du bist sogar der Schlüssel zum Gelingen meines Planes.« In der Tat verkörperte Yoritomo die größte Hoffnung Yanagisawas, eines Tages über Japan zu herrschen. Yanagisawa hatte ehrgeizige Pläne mit seinem Sohn. »Also hör zu ...«
6.
Sano und seine Leute brachten Chiyo nach Hause. Halb bewusstlos lag sie in einer Sänfte, die Sano mitsamt den Trägern angemietet hatte. Das Unwetter war weitergezogen, und es regnete nur noch ganz leicht. Der Nachmittag ging in den Abend über, als Sano und seine Leute die Sänfte durch die Ansiedlung der Samurai geleiteten, die sich in der Nähe der Reissilos am Flussufer befand. Von dem Reis wurden den Gefolgsleuten der Tokugawa die Gehälter gezahlt. Der von Major Kumazawas Truppen schwer bewachte Reis in den Silos wurde an Großhändler verkauft und das Geld von einer Heerschar Beamter verwaltet und verteilt.
Major Kumazawa und die Beamten wohnten in von Mauern umschlossenen Anwesen. Die Soldaten in den Wachhäuschen, an denen Laternen flackerten, blickten auf, als Sano und seine Männer vorbeiritten. Dies hier war der älteste Teil von Edo. Der ehemals weiße Putz an den Mauern und Hauswänden war rissig und blätterte ab, die Ziegeldächer waren alt und verwittert, die Straßen schmal und gewunden. Sano konnte sich nicht erinnern, dass er schon einmal hier gewesen wäre, aber das Tor vor dem Kumazawa-Anwesen, an dem eine Flagge mit dem Wappen des Klans hing - ein stilisierter Bärenkopf in einem Kreis -, kam ihm auf unheimliche Weise bekannt vor.
Sano und seine Männer stiegen aus dem Sattel, und Sano wandte sich an die Torwächter. »Meldet Major Kumazawa, dass ich seine Tochter nach Hause bringe.«
Die Posten beeilten sich, das Tor zu öffnen und Sano und sein Gefolge durchzulassen. Sano gelangte in einen Innenhof, der von steinernen Laternen erleuchtet wurde, die an den Mauern der Villa hingen, einem niedrigen Fachwerkbau auf einem Fundament aus Stein. Regen tropfte von den Dachvorsprüngen. Kumazawa kam aus der Tür geeilt, gefolgt von einer grauhaarigen Frau, offenbar seine Gemahlin. Beide blieben auf der Veranda stehen.
Sano hatte das seltsame Gefühl, als habe er das alles schon einmal erlebt. Bilder stiegen auf den Tiefen seiner Erinnerung auf. Er sah sich selbst, Major Kumazawa und dessen Frau auf genau dem Hof, auf dem er sich nun befand. Nur waren sie alle viel jünger, ihre Haare waren noch schwarz, ihre Gesichter faltenlos. Sano hörte eine Frau weinen und jammern, aber sie befand sich außerhalb seines Blickfelds. Er fühlte sich benommen. Kälteschauer durchrieselten ihn, und das Atmen fiel ihm schwer.
Das war nicht nur ein Gefühl. Es war eine Erinnerung. Er war schon einmal hier gewesen. Aber wann? Und warum?
Die Bilder, die Geräusche und die Empfindungen verschwanden, als Sano beobachtete, wie Major Kumazawa und seine Frau zu der Sänfte eilten. Der Major riss die Tür auf. Im Innern der Sänfte lag Chiyo; über ihren regungslosen Körper war eine Decke gebreitet, die Sano in einem Laden gekauft hatte. Chiyos Augen waren geschlossen. Um ihren Kopf war ein weißes Baumwolltuch geschlungen, das fleckig war von ihrem Blut.
Kumazawas Gemahlin schrie entsetzt auf, während der Major mit zorniger Stimme fragte: »Bei allen Göttern, was ist mit ihr geschehen?«
Er bedankte sich nicht einmal bei Sano für die Rettung seiner Tochter. Angesichts dieser Beleidigung ihres Herrn starrten Marume und Fukida den Major drohend an. Sano aber hatte Verständnis für den Mann. Er erinnerte sich noch zu gut, wie überwältigt er selbst gewesen war, als er Masahiro nach dessen Entführung in die Arme geschlossen hatte. An Höflichkeiten hatte auch er damals als Letztes gedacht.
»Sie hat eine Schnittwunde am Kopf«, sagte Sano. Daher rührte auch das Blut auf Chiyos Kimono. »Soweit ich feststellen konnte, hat sie keine anderen Verletzungen. Aber Ihr solltet trotzdem nach einem Arzt
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