Der Wolkenpavillon
wies in eine Ecke der Kabine. »Dann sollt Ihr die alte Frau loslassen und Euch von ihr entfernen. Wenn Ihr nicht gehorcht, trifft Euch auf der Stelle Okitsus Fluch.«
Sano hatte kaum ausgeredet, als ihn sein sechster Sinn vor einer Gefahr warnte. Er duckte sich in dem Moment, als Joju das Messer schleuderte, wobei er auf Sanos Herz zielte. Mit einem dumpfen Pochen fuhr die Klinge in die gepolsterte Wand. Joju stieß ein hasserfülltes Gebrüll aus und stürzte sich auf Sano. Der machte einen blitzschnellen Ausfallschritt, packte Jojus Arm, drehte ihn auf den Rücken des Mannes und drückte ihn mit dem Knie zu Boden.
Joju gab sich geschlagen. Hilflos in Sanos festem Griff, brach er in Tränen aus und jammerte: »Namu Amida Butsu! Namu Amida Butsu! Ich nehme Zuflucht beim Buddha des unbegrenzten Lichts!« Es war jene Gebetszeile, die auch Tengu-in hatte sprechen müssen, als Joju sie vergewaltigt hatte, hier, im Wolkenpavillon.
Krachend flog die Schiebetür zur Seite, und Hirata und Marume stürzten in die Kabine. Von draußen, vom Fluss her, war das Rauschen der Ruder zu hören. »Der Bootseigner ist tot«, berichtete Hirata. »Die Besatzung hat sich ergeben. Sie rudern das Schiff zurück zur Anlegestelle. Fukida behält sie im Auge, und ...« Hirata verstummte. Er und Marume starrten auf Joju, den Sano noch immer zu Boden gedrückt hielt. Dann auf die nackte, bewusstlose Frau auf dem Bett, dann auf die gepolsterten Wände der Kabine.
»Hier also wurden die Frauen vergewaltigt«, sagte Marume, der tropfnass war vom Schwimmen im Wasser. »Sieht so aus, als hättet Ihr die Sache im Griff, Sano- san . Ende gut, alles gut.«
»Noch nicht ganz«, entgegnete Sano in einer Mischung aus Befriedigung über seinen Erfolg und Verzweiflung über sein Scheitern. »Ich sage es nur ungern, aber die Gemahlin des Shōgun wird immer noch vermisst.«
42.
Am nächsten Morgen trafen Sano und seine Ermittler wieder im Palast zu Edo ein. Sanos Soldaten hatten Joju ins Stadtgefängnis überführt; die alte Frau war ins Keiaiji-Kloster gebracht worden, wo die Nonnen sich um sie kümmerten. Außerdem würde man feststellen, wer sie war, und sie nach Hause bringen, sobald es ihr besser ging.
Sano kehrte nur ungern in seine Villa zurück. Er hatte die Zeitvorgabe des Shōgun überschritten und musste nun die Konsequenzen tragen. Sano wollte versuchen, wenigstens seine Familie zu retten, aber er war so erschöpft, dass er sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Seit Tagen hatte er kaum ein Auge zugetan.
Vor dem Tor sprach einer seiner Soldaten ihn an. »Kammerherr Sano!«, sagte er aufgeregt. »Man hat die ehrenwerte Nobuko gefunden, die Gemahlin des Shōgun!«
Fukida stöhnte auf, und Marume fluchte. »Hätte das nicht schon ein paar Stunden früher geschehen können?«
Sabo war erleichtert, hatte zugleich aber ein ungutes Gefühl. »Wie hat man sie gefunden? Und wer?«
Der Soldat zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass sie im Theaterviertel Ginza entdeckt worden ist.«
»Das ist weit weg vom Chomei-Tempel«, meinte Sano nachdenklich.
Also war die Entführung Nobukos anders abgelaufen als bei den drei anderen Opfern, die später unweit der Stelle, wo die Entführer sie überwältigt hatten, freigelassen worden waren. Außerdem waren bei Nobuko nicht die Ochsenkarrenfahrer die Entführer gewesen. Demnach gab es einen weiteren Entführer, der noch auf freiem Fuß war.
»Wo ist Nobuko jetzt?«, wollte Sano wissen.
»Sie wurde in den Palast gebracht, Herr.«
Sano und seine Leute ritten im Galopp zum Inneren Schloss, der Residenz des Shōgun. Sie kamen gerade rechtzeitig, um sich einer Menschenmenge aus Beamten und Soldaten anzuschließen. Alle beobachteten gebannt, wie Nobuko von vier Wachsoldaten auf einer Liege über den Gehweg zum Eingang des Inneren Schlosses getragen wurde. Nobukos dünner Körper lag unter einer Decke. Ihre Augen waren geschlossen, ihr schwarzes Haar war stumpf, doch sie war bei Bewusstsein. Schmerz, Strapazen und Demütigung spiegelten sich auf ihrem blassen, zuckenden Gesicht, dessen rechte Hälfte grässlich verzerrt war.
Der Shōgun kam aus dem Inneren Schloss geeilt, gefolgt von seinen Bediensteten. Als die Wachsoldaten mit der Trage bei ihm waren, blickte er blinzelnd auf seine Gemahlin hinunter, als hätte er Mühe, sie wiederzuerkennen. »Bringt sie in ihre Gemächer«, wies er die Wachsoldaten an, »und schickt meinen Leibarzt zu ihr!«
Am Eingang wurde die Trage mit Nobuko
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