Der Wolkenpavillon
von ihren schluchzenden Dienerinnen umringt.
Dann fiel der Blick des Shōgun auf Sano. Sein Gesicht verdüsterte sich vor Zorn. »Meine Gemahlin ist wieder zu Hause, mögen die Götter gepriesen sein, aber das habe ich nicht Euch zu verdanken! Wie ich hörte, wurde Nobuko von Polizisten gefunden, die sie ... äh, durch Zufall entdeckt haben.« Sano setzte zu einer Rechtfertigung an, doch der Shōgun schnitt ihm das Wort ab. »Die Polizisten sagen, Nobuko sei vergewaltigt worden! Ich bin entehrt!« Seine Wut auf Sano war offenbar größer als seine Freude über Nobukos Rettung. »Das ist Eure Schuld! Hättet Ihr sie rechtzeitig entdeckt, wäre ihr das erspart geblieben!«
Dass er noch vor Kurzem Yanagisawa eine Mitschuld am Verschwinden seiner Frau gegeben hatte, schien er vergessen zu haben. Seltsamerweise war Yanagisawa nirgendwo zu sehen. Der Shōgun richtete den Zeigefinger auf Sanos Gesicht. »Ihr habt mich im Stich gelassen! Dafür werdet Ihr bezahlen! Sobald ich es einrichten kann, werdet Ihr, Eure Familie und Eure Verbündeten sterben!«
»Herr, ich ...«, begann Sano, verstummte dann aber.
Nachdem Sano ihm zwölf Jahre lang treue Dienste geleistet hatte, kehrte der Shōgun ihm ohne ein weiteres Wort den Rücken zu und verschwand im Inneren Schloss.
Betretenes Schweigen breitete sich aus. Alle mieden Sanos Blick. Die Menge rückte von ihm ab. Nur Hirata und die Ermittler blieben an seiner Seite.
Reiko eilte zu ihm. Sano konnte an ihrer Miene ablesen, dass sie die Drohung des Shōgun gehört hatte. Auch Masahiro löste sich aus der Menge der Umstehenden und rannte zu seinen Eltern. Sano schämte sich, dass seine Frau und sein Sohn seine öffentliche Demütigung miterlebt hatten. Aber was bedeutete das schon? In wenigen Stunden würden sie mit ihm sterben, weil er versagt hatte.
»Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen«, versuchte Sano die beiden zu trösten, obwohl er wusste, dass ihr Schicksal so gut wie besiegelt war. Aber er wollte wenigstens versuchen, Reiko und Masahiro ein wenig von ihrer Angst zu nehmen.
»Ich habe Neuigkeiten«, sagte Reiko unerschrocken. »Nanbu und Ogita sind tot.« Sie erzählte Sano von der Erpressung, dem Hinterhalt und von dem Kampf auf dem Friedhof und von dem erschreckenden Ausgang. Hirata und die anderen hörten gebannt zu, doch Sano schien kaum aufzunehmen, was Reiko erzählte.
»Und wo bist du gewesen?«, fragte sie ihn, als sie geendet hatte.
Ehe Sano antworten konnte, zupfte Masahiro ihn aufgeregt am Ärmel und stieß hervor: »Die Frau da! Ich habe sie schon mal gesehen, Vater!«
»Welche Frau?«, fragte Sano.
»Die Frau des Shōgun! Erinnerst du dich noch, wie ich dir erzählt habe, dass ich Kammerherr Yanagisawa ausgespäht hatte? Sie war eine von den drei Frauen, mit denen er sich getroffen hat.«
Sano und Reiko blickten ihren Sohn ungläubig an.
»Yanagisawa hatte ein miai mit der Gemahlin des Shōgun?«, fragte Reiko. Sie klang ebenso verwirrt, wie Sano sich fühlte. Dann aber begriff er allmählich, was sein alter Widersacher vorgehabt hatte. Die Dreistigkeit und der Wagemut dieses Plans verschlugen Sano schier den Atem.
Masahiro wies auf die Gruppe der Frauen, die noch immer um Nobukos Trage herumstanden. »Und da sind die beiden anderen Damen!«
Sano erblickte eine alte Frau mit weichem, beinahe kindlichem Gesicht sowie eine hochgewachsene, unscheinbare junge Dame. Beide hielten sich nahe bei Nobuko, als die Wachsoldaten sie nun ins Innere Schloss trugen. Sano hatte die beiden noch nie gesehen, aber die Tatsache, dass sie offenbar einen höheren Rang einnahmen als die anderen Frauen, zeigte ihm, um wen es sich handelte.
»Wer sind die beiden?«, fragte Reiko.
»Die ältere Frau ist Oden, eine ehemalige Konkubine des Shōgun«, antwortete Sano. »Die jüngere ist Tsuruhime, die Tochter der beiden.«
Plötzlich fiel Sano etwas ein. Masahiro war nicht der Einzige gewesen, der das Treffen zwischen den drei Frauen und Yanagisawa beobachtet hatte. Auch Toda Ikkyu war Zeuge dieser Zusammenkunft gewesen.
Reiko schnappte nach Luft. »Dann wollte Yanagisawa, dass die Tochter des Shōgun seinen Sohn Yoritomo heiratet?«
»Ja, denn dadurch wäre Yoritomo auf der Liste möglicher Nachfolger weit nach oben gerückt«, erwiderte Sano, der nun endlich wusste, was Yanagisawa im Schilde geführt hatte. »Auf diese Weise wollte Yanagisawa die Macht an sich reißen.« Dies erklärte auch, weshalb Yanagisawa sich nicht mehr am Staatsschatz der Tokugawa
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