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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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glauben, was ich tue. Nun erkannte er, dass Joju genauso verletzlich und beeinflussbar war wie seine Kunden, wenn es um vermeintliche Geister und Dämonen ging.
    »Was will Okitsu?«, fragte der Geisterbeschwörer ängstlich. Dass Sano das Vorleben und das Schicksal Okitsus kannte, schien ihn überzeugt zu haben, dass ihr Geist tatsächlich bei ihnen war.
    »Okitsu ist nicht allein«, sagte Sano. »Es ist noch ein Geist bei ihr. Sie will, dass Ihr diesen Geist kennenlernt.«
    »Wer ...?«
    »Es ist ihr Sohn«, sagte Sano. »Euer Sohn.«
    »Ich hatte nie einen Sohn!« Jojus Worte waren eine Bitte an Sano, er möge bestätigen, dass das stimmte.
    »Dann wisst Ihr es jetzt besser«, erwiderte Sano. »Das Kind hat keinen Namen, weil es bei der Geburt gestorben ist. Okitsu sagt, dass sie und ihr Kind seither zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten umherirren, wobei sie ihr totes Kind auf den Armen trägt. Nun will sie es seinem Vater zeigen ... da ist es!«
    Sano zeigte auf eine Stelle über dem Bett. Jojus entsetzter Blick huschte dorthin. Sano blies kräftig gegen ein Tuch, das dort von der Decke hing, worauf es sich wie von Geisterhand bewegte. Die Flamme in der Deckenlampe flackerte. Joju schnappte nach Luft. Sano konnte sich vorstellen, was der Priester in diesem Augenblick sah: eine geisterhafte Frau, die ein Kind in den Armen hielt. Das Bild war so lebendig, dass sich sogar bei Sano die Nackenhärchen aufstellten.
    »Ich will das Kind nicht«, sagte Joju matt zu dem Geist. »Lasst mich in Ruhe!«
    »Okitsu ist wütend auf Euch, denn Ihr habt der armen Frau und ihrem Kind etwas Schreckliches angetan und tragt die Schuld an ihrem Tod. Ihr habt beide dazu verdammt, dass sie keinen Frieden finden und auf ewig zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden umherirren. Aber nun hat Okitsu Euch gefunden, und nun will sie Rache.«
    Joju erschauerte. »Bitte ... geht!«, flüsterte er. Seine Hand, die das Messer an den Hals der alten Frau hielt, zitterte. Er schien die Frau ganz vergessen zu haben, doch eine falsche Bewegung mit der Klinge, und sie war tot. Sano erkannte die Gefahr. Er musste schnell handeln.
    »Okitsu verflucht Euch«, sagte er. »Von nun an werden Angst und Schrecken Eure ständigen Begleiter sein. Der Shōgun wird Euch fallen lassen. Ihr werdet Euren Tempel verlieren, Euer Vermögen und Euren Ruf. Ihr werdet ein Ausgestoßener sein, der auf den Straßen betteln muss. Euch wird jede Krankheit befallen, die ein Mensch bekommen kann. Alle werden Euch meiden. Ihr werdet furchtbar leiden.«
    Joju starrte Sano düster an, als wäre nicht er selbst, sondern Sano für all die Schrecken verantwortlich, die ihm angedroht wurden. »Macht, dass sie aufhört!«, rief er. »Sorgt dafür, dass sie verschwindet!«
    »Das kann ich nicht«, antwortete Sano. »Ich bin kein Geisteraustreiber. Ich kann allenfalls als Mittelsmann zwischen Euch und Okitsu auftreten.«
    »Dann tut es!«, rief Joju voller Panik.
    Sano wandte sich an den Geist, den er beschworen hatte. »Wie kann Joju Wiedergutmachung leisten? Was muss er tun, damit du deinen Fluch von ihm nimmst und in die Welt der Geister zurückkehrst?«
    Er tat so, als würde er lauschen. In Wahrheit ließ er Zeit verstreichen, damit Jojus Furcht und die Anspannung wuchsen. Der Geisterbeschwörer blickte ihn an mit dem stummen Flehen eines Ertrinkenden, der sich an die Hand seines Retters klammert. Schließlich verkündete Sano: »Okitsu verlangt, dass Ihr Eure Sünden beichtet.«
    »Ja! Ja!«, rief Joju. »Ich habe Okitsu vergewaltigt! Ich habe sie geschwängert! Ich bin schuld, dass sie und das Kind tot sind!«
    »Okitsu sagt, das reicht nicht«, erklärte Sano. »Ihr müsst alle Eure Sünden beichten. Habt Ihr die Nonne vergewaltigt?«
    Joju zögerte. Ihm war klar, dass Sano ihn auf einen Weg lockte, der auf dem Richtplatz enden konnte. Doch die Angst vor einer düsteren Zukunft, wie Sano sie ihm geschildert hatte, war größer. Mit einem tiefen Seufzer sagte Joju: »Ja.«
    Endlich hatte Sano das Geständnis, auf das er so lange hatte warten müssen. Aber da war noch eine Sache. »Okitsu ist immer noch nicht zufrieden. Sie sagt, wenn Ihr der alten Frau etwas antut, wird sie Euch die Seele herausreißen und bis in alle Ewigkeit mit Euch und dem Kind durch die Unterwelt irren.«
    Joju starrte auf die alte Frau. Sie schlief und ahnte nichts von dem Drama, das sich im Wolkenpavillon abspielte.
    »Okitsu verlangt, dass Ihr das Messer dorthin werft.« Sano

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