Der Wüstendoktor
Und ein neuer, innerer Kampf begann – denn wenn er Laila anblickte, sahen ihn die Augen Katjas an, und wenn er nachts sich nach Laila sehnte, nannte er sie Katja. Darum blieb er in seinem Zelt, trank mehr Cognac, als er vertragen konnte, und zwang sich, die stumme Lockung Lailas nicht zu sehen. Vor einer Situation empfand er Angst: wenn Laila die Initiative übernahm und nachts zu ihm ins Zelt kam. Es würde der Augenblick sein, wo sein Leben endgültig und nicht mehr verschiebbar entschieden wurde: Hakim-Pascha. Die Wüste als neue Heimat und Laila Husseini …
Der Jeep fuhr langsamer. Vandura richtete sich auf, schob die völlig mit Sand überzogene Zeltplane von sich und sah um sich. Lailas Hand lag auf seiner Schulter. Ihr von dem Gesichtstuch fast völlig umhüllter Kopf war eine gelbliche Sandkugel, aus der die schwarzen Augen mit unerklärbarer Klarheit glänzten.
»Wir sind gleich da«, sagte sie. »Siehst du schon das Flugzeug?«
Vandura blickte über die Schulter des Fahrers in die flimmernde Wüste. Er sah nur Sand und Steine, aufwirbelnden Staub, einen bleiernen Himmel und das durchsichtige Wogen der heißen Luft.
»Wo?« fragte er.
»Da hinten. Das Glitzern.«
Auf der Sandfläche tauchten jetzt drei schwarze Punkte auf. Sie kamen schnell näher, weiße Staubfahnen hinter sich herziehend. Zwei Jeeps und ein Mannschaftswagen mit aufmontierten Maschinengewehren. Sie fuhren an Vandura vorbei, die Fahrer und Rebellensoldaten winkten Laila zu, noch einmal wurden sie mit fliegendem Sand überschüttet und verkrochen sich unter die Zeltplane. Eng zusammengedrückt, Kopf an Kopf, warteten sie, bis die Staubwolke sich gesenkt hatte.
»Küß mich!« sagte Laila plötzlich.
»Jetzt?«
»Sofort! Oder ich erschieße dich.«
»Das ist ein Argument.« Vandura küßte sie auf die sandigen Lippen, und sie warf die Arme um seinen Nacken und ließ ihn nicht mehr los.
So kamen sie auf dem Flugplatz Sarqa an – zwei Menschen, die sich unter einer Zeltplane umklammerten und küßten. Dr. Karabasch deckte sie auf und lachte schallend.
»Zwei Mediziner unter sich!« rief er und umarmte Dr. Vandura wie einen Bruder. »Ich glaube Ihnen gern, daß bei diesem Staub diese Art der Atmung die beste ist. Hat Laila Ihnen gesagt, warum ich Sie rufen ließ?«
»Nein. Sie weiß es auch nicht.«
»Eine Geburt, Hakim-Pascha.« Dr. Karabasch zog das Tuch höher über seinen Mund. Der ewige Wind der Wüste wehte den Sand unsichtbar durch die Luft. Man spürte ihn erst, wenn die Zähne versandeten und die Zunge sich belegte. »Das wäre an sich kein Problem, aber die Frau hat ein zu enges Becken. Das Kind sitzt fest, tritt nicht durch. Bei jeder Wehe drückt es sich fester und verklemmt sich mehr.«
Vandura blickte Karabasch böse an. »Mit anderen Worten: Kaiserschnitt. Warum haben Sie die Frau nicht nach Muwaqqar gebracht?«
»Zu spät dazu. Außerdem scheute ich den Transport. Man soll nicht sagen: Diese Rebellen sind unmenschlich. Wir entführen zwar Flugzeuge, aber wir achten das Leben der Mutter.« Dr. Karabasch zeigte auf das Flugzeug. Es stand auf dem vom Flugsand überwehten Rollfeld, auf dem auch Vandura gelandet war. Eine silbern glitzernde, in der Sonne wie weißglühende Maschine. Ein verirrter, fremder Riesenvogel. »Mohammed hat uns gelehrt, die Mutter zu ehren.«
»Mir kommen die Tranen, Karabasch.« Vandura holte aus dem Jeep seinen Chirurgenkoffer. Laila und der Fahrer luden die anderen Gepäckstücke aus. »Ich habe schon von unserer Revolutionsbraut gehört, daß Sie damit die satte Welt aufrütteln wollen. Glauben Sie wirklich, daß Sie damit Sympathie gewinnen?«
»Wir wollen keine Sympathie – wir wollen unser Land wiederhaben! Ist das eine so unbillige Forderung?! Trägheit kann man nur durch Gewalt aufrütteln … Worte werden gefressen wie Kaviar. Dieses Flugzeug der TWA wird nicht das erste und letzte sein, das wir entführen. Es sind sieben Kommandos unterwegs, um die Welt in Bewegung zu setzen.«
»Sie sind verrückt, Karabasch.« Vandura nahm seine Tasche in die Hand. »Um es ganz klar zu sagen: Ich helfe hier als Arzt einer Gebärenden – aber ich unterstütze damit nicht Ihre Piraterie. Auch nicht moralisch. Ich bin hier im Namen der Medizin!«
»Mehr sollen Sie auch nicht, Hakim-Pascha. Ob Sie mich einen Verrückten nennen oder einen neuen Mahdi, das ist mir gleich. Achten Sie nicht auf Umgebung, sehen Sie nur die Patienten. Das ist der uralte Konflikt aller Ärzte im Krieg: heilen, damit
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