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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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allein war wichtig.
    »Ich liebe alles, was Veränderungen schafft«, sagte sie heiser. »Ich hasse das Starre.«
    »Wie wir uns gleichen, Laila. Ich verspreche Ihnen: Wenn ich jemals wieder nach Beirut komme, bringe ich Ihnen ein rotes Bettuch mit.«
    Sie wollte ihn anschreien, ihm in einer grenzenlosen Wildheit ins Gesicht spucken, aber sie kam nicht mehr dazu. Er umfaßte sie mit beiden Händen, zog sie an sich, und sein Griff war so hart und unausweichlich, daß sie jeglichen Widerstand erst gar nicht versuchte. Er küßte sie, ließ seine Lippen auf den ihren, bis sie den Mund öffnete und sich ganz ergab. Das Glücksgefühl, das in ihr aufbrach, beschämte sie zugleich. Ein Weißer, ein Deutscher, ein Klassenfeind, ein Ignorant – hilf mir, Revolution!
    Sie half nicht. Und sie war auch nicht zur Stelle, als Vandura sie ebenso plötzlich wieder losließ und nüchtern sagte: »Laß die Unterschenkelfraktur hereinfahren, rote Prinzessin – hopphopp, sonst kommt unser ganzer OP-Plan durcheinander …«
    Wie betäubt verließ Laila das Operationszelt. Sie stieß auf Dr. Ashraf, der mit zwei Sanitätern die auf der Liste Stehenden sortierte. Im Lager trafen zwei Lastwagen mit neuen Verwundeten ein, mit brüllenden Motoren kämpften sie sich durch den Sandsturm. Die Lage verschärfte sich – König Husseins Truppen bewachten die Grenzen nach Israel jetzt nicht nur vor den Juden, sondern auch vor den Freiheitsfrontlern. Gab es einen Bruderkrieg? Schon zogen Demonstrationszuge durch Amman, schrien: »Nieder mit dem König!« und: »Weg mit den Haschemiten und allen Ausbeutern!« In seinem Hauptquartier schlief Dr. Karabasch nur noch drei Stunden in der Nacht. Bei ihm bündelten sich die Fäden der Revolution.
    »Der Unterschenkel« – sagte Laila mit matter Stimme. »Sofort.«
    »Sind Sie krank, Laila?« fragte Ashraf besorgt.
    »Nein, nein.« Sie winkte ab und atmete tief und seufzend auf. »Das Wetter. Das verfluchte Wetter –«
    Sechs Wochen später – der Ruhm des Hakim-Pascha war zu einem orientalischen Märchen geworden, das die Erzähler in den Basaren bereits den Kindern vortrugen – kreist über dem Wüstenflugplatz Sarqa eine riesige Düsenmaschine der TWA. 155 Passagiere starrten durch die Fenster auf den trostlosen, sandigen, hitzeflimmernden Fleck Erde unter sich. Wüste überall, glühende Unendlichkeit, Mondeinsamkeit.
    Nach einer großen Schleife landete die Boeing 707 sicher im Wüstensand. Zwei Panzer und drei Mannschaftswagen der ›Arabischen Einigungsfront‹ bauten sich neben ihr auf. Im Funkwagen tickte der Telegraf – nach El Muwaqqar, Amman, Beirut und Jerusalem. Hinaus in die ganze Welt.
    Dr. Vandura wurde von der Meldung während einer Armamputation überrascht. Laila, die von der Wachstation kam, stürzte ins Zelt. Ihr schmales, byzantinisches Gesicht glühte.
    »Sie ist gelandet. Es ist gelungen! Jetzt wird die Welt nicht mehr ruhig und fest schlafen! Wir haben ein amerikanisches Flugzeug entführt!«
    Aus dem Lager knatterte Gewehrfeuer. Man schoß jubelnd und tanzend in die Luft.
    Sieg! Sieg!
    In der Boeing 707 der TWA befanden sich neunundvierzig Frauen, zwölf Kinder, ein Säugling, eine Hochschwangere, ein schwer Herzkranker, ein katholischer Pfarrer und neunzig Männer aus zehn Nationen. Sie hatten eigentlich nach New York gewollt – nun wehte feiner Wüstensand durch die geöffnete Tür.
    »Wir werden einen Arzt brauchen«, sagte der Pfarrer laut. Er saß neben der Hochschwangeren und hielt deren schweißnasse Hände. »Ist ein Arzt unter Ihnen?«
    Es war keiner an Bord, nur ein Apotheker. Sein Laden lag in Oslo.
    Aus dem Funkwagen in der kleinen Wagenburg am Rande der Wüstenpiste tickte eine neue Meldung nach El Muwaqqar.
    »Hakim-Pascha nach Sarqa. Hakim-Pascha kommen.«
    155 unschuldige Menschen verschollen in der Wüste.

5
    Die rasende Fahrt im offenen Jeep durch die glühende, staubende Wüste hatte ihn völlig fertiggemacht. Eingewickelt in eine arabische Dschellaba, Kopf und Gesicht verborgen hinter einem buntkarierten, feuchten Tuch, das nur die Augenpartien freiließ, hockte Dr. Vandura auf dem eisernen Sitz, klammerte sich an der Lehne des Vordersitzes an und verbarg seine Augen vor dem feinkörnigen Sand in den Unterarmen. Laila schien diese Hitze und der wirbelnde Staub nichts auszumachen – sie saß neben Vandura, ein Schnellfeuergewehr zwischen den Beinen, und rührte sich nicht. Vandura war es ein Rätsel, wie der Fahrer überhaupt die Wüstenpiste sehen

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