Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Fräulein Famulus, beeilen Sie sich!«
    Laila holte tief Atem. Dann rannte sie an Dr. Ashraf vorbei aus dem Zelt, gab ihm dabei schnell einen Tritt gegen das Schienbein und verschwand im Magazin des Lazaretts. Ashraf verzog den Mund, hob das getretene Bein und hielt sich an einer der Metallzeltstangen fest. »Wenn Sie dieses Teufelchen bändigen, Hakim-Pascha, wird man Sie gleich neben Mohammed stellen«, sagte er und schnaufte durch die dicke Nase. »Nur vor einem warne ich Sie: Spielen Sie nicht mit ihr. Laila liebt Sie ehrlich. Alle sieben Himmel Allahs können Sie gewinnen, aber auch alle Formen der Hölle!«
    »Und ihre Revolution?«
    »Das ist ihr zweites Leben.« Dr. Ashraf lächelte ein wenig schief. »Sie werden das als Europäer nie begreifen lernen. Am Tag mit dem Gewehr verheiratet, in der Nacht eine Quelle der Wonnen – das ist die moderne arabische Frau! So soll sie wenigstens sein – Laila lebt es uns vor.«
    Vandura bückte sich, ergriff seinen Chirurgenkoffer und stellte ihn auf den Tisch. Dann schlang er die Dschellaba um sich und begann, das Kopftuch um seinen Schädel zu wickeln. »Es ist nicht jedermanns Sache, mit einem Pulverfaß zu schlafen.«
    »Tun wir das nicht alle, ohne es zu merken? Wissen Sie, wenn Sie sich abends ins Bett legen, ob die Welt am nächsten Morgen noch so aussieht, wie Sie sie für einen kurzen Traum verlassen haben? Wir alle haben die Revolution im Arm und wissen es nicht.«
    Nun rumpelten sie über die Wüstenpiste, die Sonne glühte gnadenlos auf das gelbweiße Sandland, der Staub umwallte sie in dicken, erstickenden Wolken. Vandura hustete, preßte die Hand über die Augen und verkroch sich hinter den Vordersitz. Er rechnete damit, ausgedörrt und erstickt zu sein, bevor sie den Flugplatz von Sarqa erreichten.
    Nach drei Stunden erbarmte sich Laila. Sie zog eine Zeltplane unter dem Sitz heraus, breitete sie aus und deckte sie über den zusammengekauerten Vandura. Die Hitze wurde dadurch noch unerträglicher und beklemmender, aber der feine Flugsand wurde abgehalten. Vandura atmete ein paarmal tief durch, rieb sich die spitzen, harten Körner aus den Augen und stützte sich auf die Plastikkanister mit den Desinfektionslösungen. Eine Hand glitt unter die Zeltplane hindurch. Lailas schmale, lange Finger.
    »Besser?« fragte sie.
    Mein Gott, sie kann noch reden, dachte Vandura. Mir hat die Glut die Stimmbänder weggefressen.
    Er nickte und hielt Lailas Hand fest. Sie roch süßlich, nach einem unbekannten orientalischen Parfüm. Ein Duft von Jasmin und Rosen. Er küßte die Handfläche und legte dann seine Stirn hinein.
    Die Frage, die er sich seit Wochen stellte und mit der er in einem rätselhaften Kampf stand, bewegte ihn erneut. Es war die Frage, die auch Dr. Ashraf in seiner Art indirekt gestellt hatte: Liebte er Laila Husseini? Konnte sie das Bild Katjas verdrängen? War sie die Erfüllung seines zweiten Lebens? War hier die Endstation des Dr. Vandura? Wüstendoktor. Hakim-Pascha. Der Arzt der arabischen Revolution! Es gab darauf noch keine Antwort. Dieses neue Leben war noch zu jung. Die Vergangenheit, die er begraben wollte, ließ ihn nicht los. Nicht allein Katja war es, sondern das Bewußtsein, nicht am Tode Bruno Hellersens schuld zu sein. Nächtelang hatte er darüber nachgegrübelt – in Beirut und jetzt hier in dem Wüstendorf Muwaqqar. Er wollte sich rechtfertigen, aus der Ferne, im sicheren Versteck, denn sein Vertrauen zu einer Justiz der Gerechtigkeit war nie groß gewesen. Aber dann überdeckte ein anderer Gedanke diesen Gerechtigkeitssinn: Warum eine Rechtfertigung? Wer würde ihm glauben? Die Obduktion konnte ergeben, daß Hellersen wirklich eines natürlichen Todes gestorben war – aber was heißt in der Medizin ›natürlich‹? Man würde ihm durch die Gutachten einer kleinen, aber verbissen kämpfenden Streitmacht von Professoren der Schulmedizin beweisen, daß seine heimlichen Injektionen im ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod des Patienten ständen. Ursächlich aber bedeutet in der Justiz schuldig. Gegen ursächlich gab es keine Argumente, nur die Frage: Haben Sie die Injektionen gegeben oder nicht? Und die Antwort: Ja!, war sein Urteil. Man konnte sich Erklärungen sparen – sie blieben nur Worte ohne Widerhall. Schreie in der Wüste …
    Vandura mußte lächeln, als er diesen Vergleich erreicht hatte. In der Wüste! Sie war nun seine neue Heimat geworden. Und er begann sogar, diese Wüste zu lieben, weil sie Laila hervorgebracht hatte.

Weitere Kostenlose Bücher