Der Wüstendoktor
Laura Perlucci mit ihrem Kind, der herzkranke Pierre Nolet und der Kopilot Jerry Delwitt waren die ersten Patienten im Wüstensand. Delwitt war verletzt worden, als er einen der Rebellen daran hindern wollte, die Funkanlage zu zerstören. Eine tiefe Kopfwunde hielt ihn in dauernder Benommenheit – er lag auf einer Pritsche und dämmerte vor sich hin. »Ich habe etwas gegen Brutalität«, sagte Vandura zu Dr. Karabasch, der kurz ins Sanitätszelt hineinblickte und für seine Organisation gelobt werden wollte. »Der Mann wird einen Spätschaden behalten. Sie haben ihm die Schädeldecke eingedrückt.«
»Die Revolution braucht Opfer, Hakim-Pascha.« Karabasch betrachtete den stummen Jerry Delwitt. »Warum wehrte er sich?«
»Warum griffen Sie an?«
»Immer die alten Lieder, Vandura! Ich habe Ihnen so oft gesagt …«
»Und Sie werden mich trotzdem nicht überzeugen. Das hier sind unschuldige Menschen, die voll Vertrauen auf Technik und fliegerisches Können sich in ein Flugzeug setzen und zu Verwandten oder nach Hause fliegen wollen, und plötzlich landen sie in der Wüste, werden zu Geiseln, müssen Durst und Hunger und glühende Hitze erleiden, von den nervlichen Belastungen ganz zu schweigen, werden mit dem Tod bedroht, falls man Ihre Forderungen nicht erfüllt – und das alles nennen Sie gerecht!«
»Wo gibt es heute noch Recht, Hakim-Pascha? Diese Menschen, die jetzt um ihr erbärmliches Leben zittern, waren satt und zufrieden. Sie kümmerte es nicht, daß in den Flüchtlingslagern von Jordanien Tausende Kinder an Hunger und Seuchen sterben, sie lesen beim Morgenkaffee und knusprigen Brötchen, daß in Südamerika die Indianer von den Großgrundbesitzern ausgerottet werden, daß in Indien Millionen verhungern, in den Slums der großen Städte Südamerikas von vier Kindern drei sterben und die Landarbeiter Heuschrecken essen müssen, um überhaupt etwas im Magen zu haben. Das alles lesen sie mit ausgestreckten Beinen, schmieren sich Butter aufs Brot, legen dick die Wurst darauf und schmatzen bei den Zahlen: Wieder tausend Tote … Ist eine solche Welt gerecht, Vandura!? Diese 155 Menschen, die jetzt hier in der Wüste schwitzen, werden in Zukunft anders denken. Und sie werden die anderen Millionen zum Nachdenken aufrütteln. Mehr wollen wir nicht – die Welt soll endlich denken lernen! Ist das zuviel verlangt?«
»Wir werden uns auf dieser Straße nie begegnen, Karabasch.« Vandura wusch sich die Hände. Im Hintergrund versorgte Laila einen Verletzten. Mit einem Krankenfahrzeug waren sieben neue Verwundete von irgendeiner Rebellenfront gekommen. Überall wurde jetzt geschossen, am Jordan, am Toten Meer, in der Umgebung von Amman – eine neue Taktik hatte Dr. Karabasch angewandt, er ließ seine Truppen in kleinen Verbänden marschieren. Plötzlich tauchten sie auf, an verschiedenen Plätzen zur gleichen Zeit, genau durch Funksprüche abgestimmt, schufen Unruhe, demonstrierten die Ohnmacht des jordanischen Heeres, überfielen israelische Kolonnen, beschossen mit kleinen Geschützen und Granatwerfern die israelischen Kibbuzim, zerstörten Brücken und sprengten Bahngleise. Es waren keine großen Schäden, aber sie trugen Angst und Schrecken ins Land. Und sie riefen die anderen Araber zum Widerstand gegen alles auf, was nicht zur Idee eines arabischen Nationalismus paßte. Das genau wollte Dr. Karabasch: einen Aufstand der arabischen Welt gegen das Judentum und den Einfluß des Großkapitals, ganz gleich, woher es kam.
Dr. Vandura betrachtete Laila, wie sie die Wunde aufschnitt und einen Splitter herausholte. Sie tat es mit einer Sicherheit, als sei sie darauf spezialisiert. Dr. Karabasch stieß Vandura lächelnd in die Seite.
»Ihre Schule, Hakim-Pascha. Laila bewundert Sie. Ich habe sie überrascht, wie sie nachts in ihrem Zelt saß und medizinische Knoten übte. Einigen wir uns: Sie denken nur an die Kranken, und ich spreche mit Ihnen nicht mehr über Politik. Wir verschenken nur kostbare Zeit.« Er wandte sich zum Ausgang, blieb dort aber noch einmal stehen. »Übrigens werden noch zwei Flugzeuge landen.«
»Ich habe davon gehört. Sorgen Sie für Unterkunft und Wasser.«
»Und noch etwas.« Karabasch zog das Kopftuch fester um seinen Schädel. »Ich habe fünfzig Journalisten aus allen Ländern eingeladen, sich hier ein Bild vom arabischen Freiheitswillen zu machen. Sie werden morgen in Amman landen. Sie werden mit den Geiseln reden können, und dann werden sie Zeuge sein, wie wir die Maschine in die
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