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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schneller. Ja, ich habe Angst, dachte er. Angst, in dieser fremden Welt immer ein Einsamer zu sein. Trotz Laila, trotz der Wüstenpaläste, die wir mit neuem Glück füllen könnten, trotz meiner Aufgabe, der Wüstendoktor zu sein, ein halber Heiliger, der große Hakim-Pascha. Eine Welt aus Sand – kann man darin leben, wenn man einmal Vandura war?
    Sie gingen durch den verfallenen Palast, bewunderten die kühne Architektur aus behauenen Steinen, glatt aneinandergefügt, nur gehalten von ihrer eigenen Schwere und den Gesetzen der Statik, und die schwebende Eleganz dünner, filigranartig durchbrochener Mauern der Innenräume – Machtfülle und Sonnenanbetung, Stärke und Zärtlichkeit, Herrschertum und Liebestraum – aus diesen uralten, gebleichten Mauern atmete die ganze Fülle eines eroberten Lebens.
    Hand in Hand gingen sie durch den Palast, wie Kinder, die ein Zauberland erforschen. Sie sprachen kein Wort, aber ihre Hände redeten um so mehr. Die Finger streichelten sich, verkrampften sich ineinander, vereinigten sich in einem Druck, der bis zum Herzen zog.
    Eine breite Treppe führte auf eine große Terrasse, von der man die Wüste von Horizont zu Horizont überblicken konnte. Ein gelbflimmerndes Meer, das den Himmel auffraß. Laila blieb stehen – eine geschwungene Mauer bildete eine große Nische, in der der Schatten wie ein Bett lag. Sie riß sich los, setzte sich mit gekreuzten Beinen in die Nische und starrte zu Vandura hinauf.
    »Haben Sie Phantasie?« fragte sie mit einer veränderten, in sich bebenden Stimme.
    »Ein wenig.« Vandura lehnte sich an die Mauer. »Ich stelle mir vor, es ist das Jahr 710 …«
    »Warum nicht 1970?«
    »… der Palast ist verlassen von allen Gästen. Die großen Feste sind vorüber, nur Laila, die schönste Blüte der Wüste, ist zurückgeblieben. Auf einem seidenen Diwan liegt sie, zwei nubische Sklavinnen fächeln ihr Kühlung zu, auf einem kleinen goldgetriebenen Tisch steht eine Kanne mit kaltem Fruchtsaft – o Himmel, Fruchtsaft! Ich gäbe jetzt hundert Piaster für einen Schluck!«
    »Du hast keine Phantasie, Hakim-Pascha!« Laila zeigte hinaus in die Wüste. »Blick fünf Minuten dorthin. Rühre dich nicht. Wenn du in fünf Minuten am Horizont einen Reiter erkennst, hast du Phantasie.«
    Vandura dreht sich herum und sah in den Sonnenglast. Der Sand blendete, die Augen begannen zu tränen. Er hob den Arm und blickte auf seine Uhr.
    »Drei Minuten. Ich sehe Wasser! Aber es läuft mir aus den Augen. Können wir nicht abbrechen?«
    »Fünf Minuten, hat der alte Märchenerzähler gesagt.«
    »Noch eine Minute – die obere Sandschicht beginnt zu tanzen. Laila, das Experiment ist mißlungen. Ihr Märchenerzähler war ein Narr. Vielleicht kann nur ein Wüstensohn am Horizont einen Reiter ahnen –«
    »Die Wüste ist voller Geheimnisse, Hakim-Pascha. Man muß sie nur sehen können. Es ist nicht wahr, daß die Wunder aussterben. Es bleibt immer das Wunder der Liebe –«
    Vandura drehte sich um. Dann verschluckte er, was er sagen wollte, und atmete tief auf. Laila lag auf ihrer ausgezogenen Uniform – ein schmaler, brauner, glänzender Körper, von dem sich die Hügel der Brüste abhoben und der Sonne entgegenstießen. Sie lag da mit nach oben gedrehten Handflächen – eine Bettlerin der Zärtlichkeit oder eine Besiegte ihrer Liebe.
    »Wir sind wirklich im Jahr 710 …« sagte sie mit ganz kleiner Stimme. »Die Gäste sind gegangen, und wir sind allein – ganz allein – nur Himmel und Sand schauen uns zu –«
    Es war eine Stunde, in der Vandura wirklich starb, jener Vandura, der einmal in Grünwald bei München eine Arztpraxis besessen und verlacht von allen anderen Medizinern auf eigene Faust eine Behandlungsmethode der Arteriosklerose entwickelt hatte. Es starb der Vandura, der einmal einer Frau wegen sein ärztliches Ethos übersprungen hatte, der sich schuldig machte und wie ein Verbrecher in der Nacht floh. Es starb auch die Vergangenheit, und selbst die Gegenwart ging in den Flammen auf, die aus ihnen beiden schlugen und die heißer waren als die Sonne. Sie umschlangen sich und spürten die unfaßbare Seligkeit, die sie durchströmte wie ein breiter, leuchtender Fluß. Staubfeiner, weißer Sand puderte ihre Körper. Ihre Atem waren ein Laut und flossen ineinander, und wenn sie sich küßten, wehte er wie ein heißer Wind über ihre Gesichter.
    Dann lagen sie Seite an Seite, Vandura hatte seine Dschellaba über sie gezogen, und neben ihnen knatterte leise ein

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